Nigeria: Land der Hoffnung

von Christof Beckmann

Freitag, 22.06.2018

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Pfarrer Sylvester Ejike Ozioko, Montage: KIP

Im Fußball trifft Nigeria heute auf Island: Das mit fast 190 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Afrikas hat eine Menge Herausforderungen, weiß Pfarrer Sylvester Ejike Ozioko, Seelsorger der anglophonen afrikanischen Gemeinde in Essen...

INFO: Das kleine Island, im Fußball auf Weltranglistenplatz 20, trifft heute um 17.00 Uhr in Wolgograd auf die „Super Eagles” aus Nigeria - Platz 48 auf der Liste, aber gegen Island ein Gigant. Und viele Landsleute der Teams fiebern auch in NRW mit: Aus Island kommen genau 200, aber über 17.000 sind es aus Nigeria, allein 1.025 in Essen. Und in ihrer Heimat gibt es erheblich mehr Herausforderungen, als möglichst gut beim WM-Turnier mitzuspielen.

Nigeria teilt das Schicksal fast aller Nationen Afrikas: Das 1914 von der englischen Kolonialmacht ohne Rücksicht auf kulturelle und religiöse Traditionen aus vielen unabhängigen Völkern und Königreichen „verschmolzene“ Land wurde 1960 unabhängig. Seitdem durchlief das rohstoffreiche Nigeria zahlreiche dramatische politische und ökonomische Krisen, die längst nicht abgeschlossen sind. Nach zehn Jahren voller Unruhen, Staatstreichen und dem „Biafra-Krieg“ war der Aufbau demokratischer Strukturen jedoch bald zum Scheitern verurteilt, ständig wechselnde Militärdiktaturen förderten eine grassierende Korruption.
Derzeit durchlebe Nigeria, das seit 1999 wieder zu einer zivilen Regierung zurückkehrte, erneut eine schwere Phase seiner Geschichte, so Father Sylvester. Für ihn die Folge aus der Zeit der Kriege und instabilen Regierungen: „Die Jugend ist völlig orientierungslos, jeder kämpft um das nackte Überleben.“ Unglücklicherweise habe sich die Hoffnung auf den derzeit amtierenden Präsidenten als trügerisch erwiesen. Denn für ihn stehe angesichts einer galoppierenden Inflation und wachsenden Verarmung nicht die wirtschaftliche Gesundung im Vordergrund. Stattdessen fördere er vor allem eine zunehmende Islamisierung.Zugleich werde das Land durch die Schläge radikaler islamistischer Gruppen wie Boko Haram und den marodierenden „Fulani Herdsmen“ erschüttert – mit massiven Folgen für die öffentliche Sicherheit, die wirtschaftliche Erholung und das Vertrauen in den Staat. „Fast täglich gehen Bomben in Kirchen, Moscheen und auf Marktplätzen hoch, töten und vernichten Eigentum in Millionenhöhe – und leider schließen sich viele junge und ungebildete Nigerianer diesen Gruppen an, ohne Achtung vor dem Leben“. Entführungen mit Lösegeldforderungen würden zum Geschäftsmodell, Raubüberfälle, Prostitution und verbreitete Kinderarbeit zur Überlebensstrategie. Sylvester Ozioko, der mit sieben Geschwistern aufwuchs, erlebte, dass seine eigene Mutter in die Hände einer Bande jugendlicher Entführer fiel. Fast die Hälfte der Gesamtbevölkerung sei jünger als 15 Jahre, viele Millionen gingen zu keiner Schule. Für ihn „eine Zeitbombe für die Zukunft“. Der immer wieder deutlich werdende Grund für die fortschreitende Verwahrlosung sei vor allem eines: Die Armut. Gegen sie sei allein Bildung die beste Strategie, ist Pater Sylvester überzeugt. „Und ohne Bildung ist Armut vorprogrammiert.“

Katholische Kirche in Nigeria: Um das Jahr 1470 sind die ersten Kontakte mit christlichen Missionaren überliefert, 1543 gründete Papst Paul III. das Bistum São Tomé und Príncipe. Seit 1860 sind die sich Ordensgeistlichen der Gesellschaft der Afrikamissionen (SMA) in der heutigen Hauptstadt Lagos, seit 1885 auch die Ordengemeinschaft der Spiritaner (CSsP). Heute stellen Christen 40 bis 45 Prozent der Bevölkerung, Muslime rund 50 Prozent. Neben der Anglikanischen Kirche und den wachsenden Pfingstkirchen zählt die Römisch-katholische Kirche in Nigeria etwa 19 Millionen Mitglieder in 53 Bistümern. Das Bistum Nsukka wurde 1990 durch Papst Johannes Paul II. aus Gebietsabtretungen des Bistums Enugu errichtet und dem Erzbistum Onitsha als Suffraganbistum unterstellt. Es zählt rund 630.000 Einwohner (2016/17), davon gut 500.000 Katholiken, die von 230 Diözesanpriestern betreut werden. In Nigeria gibt es seit Einführung der Scharia im Jahr 2000 massive Christenverfolgungen, hauptsächlich im islamischen Norden des Landes. Anschläge und Geiselnahmen der Terrororganisation Boko Haram machten laut Angaben der Vereinten Nationen bis Ende 2016 rund 1,8 Millionen Menschen zu Binnenflüchtlingen.

Hilfsprojekt „Kirikiri Stars“: Für Father Ozioko liegt die Zukunft der Jugend und ihr Weg aus der Armut vor allem in einer besseren Bildung und Ausbildung. Darum hat er ein Projekt gestartet, das unter dem Namen „Kirikiri Stars“ (Kleine Sterne) mittellosen Schülern diese Bildung ermöglicht. Seit Dezember hat er mit einer Spende von 3.000 Euro 48 Schülerinnen und Schülern das Schulgeld für die Grundschule, Studiengebühren und medizinische Untersuchungen sichergestellt. Das Projekt ist angebunden an die Kommission für Gerechtigkeit, Etwicklung und Friede“ seines Heimatbistums Nsukka (JDPC), die von Pfarrer Dr. Matthew Irunnaya Ezea geleitet wird. Auch er wurde während seines Studiums in Bochum zu Fragen der Katholischen Soziallehre mit der Arbeit „The ILO's Concept of Decent Work in the Light of the Social Teaching of the Church and its Relevance to Nigeria“ promoviert. (erschienen 2013 im LIT-Verlag, Reihe: Theologie, Bd. 106).

Unser Gesprächspartner: Pfarrer Sylvester Ejike Ozioko, geboren am 10. Juni 1979, stammt aus der Bischofsstadt Nsukka/Enugu State im Osten Nigerias. Er wuchs als viertes von sieben Geschwistern in der Großfamilie eines Highschool-Lehrers auf, die Mutter betrieb als Hausfrau eine kleine Landwirtschaft. Am 12. Juli 2008 – vor fast genau 10 Jahren - wurde er zum Priester geweiht und war anschließend acht Jahre in Landgemeinden tätig. Seine praktischen Erfahrungen in der aktiven Seelsorge, aber auch seine Mitarbeit in der Bischöflichen „Kommission für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden“ will er nun mit weiteren Studien vertiefen. Sein Bischof ermöglichte ihm dazu den Wechsel nach Deutschland, um an der Ruhr-Universität Bochum ein Masterstudium in Katholischer Theologie und Religious Studies zu absolvieren. Sein Ziel: Die Promotion in der Katholischen Soziallehre, von der er fasziniert ist. Zur Zeit lernt Father Sylvester Deutsch, schätzt jede Gelegenheit zur Kommunikation, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern und ist Seelsorger der englischsprachigen afrikanischen Gemeinde in Essen. Sie trifft sich Freitag (19 Uhr) und Sonntag (14 Uhr) in St. Gertrud zur Messe (Rottstraße 36, 45127 Essen).  

Kontakt: Father Sylvester Ozioko, Germaniaplatz 7, 45355 Essen, Tel. 0152 / 16716925, E-Mail: frejike@gmail.com, Internet: https://www.st-gertrud-essen.de/gemeinden/muttersprachliche-gemeinden/afrikaner-anglophon/

Freitag, 22.06.2018