Ferien voraus: Doch Tourismus hat Grenzen

von Christof Beckmann

Samstag, 12.10.2024

Platzhalterbild
Beitrag anhören

Motiv: Pixabay

Vor dem Beginn der Herbstferien ein Blick auf gebeutelte Touristenhochburgen unserer Zeit: Denn vielerorts demonstrieren Zehntausende Einheimische gegen die Auswüchse des Massentourismus. Wer da etwas nicht ganz richtig verstanden? …

INFO: Von Januar bis Juli 2024 wurden an den deutschen Flughäfen 117,91 Millionen Passagiere (an+ab) gezählt – im Vergleich zum Vorjahreszeitraum +9,0% mehr Passagiere. Allein im Juli 2024 bewegten die deutschen Flughäfen knapp 21,2 Millionen an- und abfliegende Passagiere, so eine Meldung der Airportzentrale mit Berufung auf den Flughafenverband ADV. Damit stieg das Passagieraufkommen gegenüber dem Vormonat Juni um rund +1,2 Mio. Passagiere, im Vergleich zum Juli 2023 um +3,5%. Der Flughafen Düsseldorf wickelte in den Sommerferien 2024 3,3 Millionen Reisende ab, davon alleine mehr als zwei Millionen Passagiere und rund 15.000 Flüge in den vier Wochen der EM.

Die Deutschen als Reiseweltmeister: Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes haben im vergangenen Jahr Reisende aus Deutschland 102 Millionen Reisen mit mindestens einer Übernachtung im Ausland unternommen. Das bedeute ein Plus von 18 Prozent gegenüber 2022. Die beliebtesten Länder für Privat- und Geschäftsreisen waren 2023 Österreich (12 Prozent), Italien (12 Prozent), Spanien (10 Prozent), die Niederlande (7 Prozent) und Frankreich (7 Prozent). Das Auto war dabei für 58 Prozent der Inlands- und Auslandsreisen das am häufigsten verwendete Verkehrsmittel, der Anteil der Flugreisen stieg von 15 Prozent im Jahr 2022 auf 16 Prozent im Jahr 2023, Bahnreisen lagen 2023 mit einem Anteil von 17 Prozent über dem Niveau von 2022. Nun stehen die Herbstferien an und sicher nutzen viele noch ein paar freie Tage, um an Traumziele zu reisen.

Tourismusstatistik: Das meistbesuchte Urlaubsziel in der Europäischen Union waren 2022 die Kanarischen Inseln - fast 90 Millionen Übernachtungen im Jahr wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamts vom 28. Mai 2024 gezählt, die Zahl der deutschen Kanaren-Urlauber nahm um knapp drei Prozent auf gut 2,7 Millionen zu. Damit übernachteten durchschnittlich 245.000 Menschen am Tag auf den Kanaren. Gemessen am Verhältnis von Übernachtungen auf Einwohner lagen laut Statistik die griechischen Inseln an der Spitze. Laut EU-Statistikbehörde Eurostat hat sich die Zahl der Fluggäste aus Deutschland auf die griechischen Inseln im Jahr 2023 im Zehnjahresvergleich mehr als verdoppelt; bei den Ionischen Inseln um über 158 Prozent auf zuletzt knapp 425.000, in der Südlichen Ägäis um etwa 113 Prozent auf rund 968.000 Urlauber. Hier gab es auf den Inseln wie Santorin oder Mykonos 2022 im Durchschnitt pro Einwohner 110 Übernachtungsgäste. Oberbayern als beliebteste Urlaubsregion in Deutschland kam auf knapp 38 Millionen Übernachtungen 2022, Mecklenburg-Vorpommern zählte im Vergleich als deutsche Region mit der höchsten Tourismusintensität rund 18 Übernachtungen je Einwohnerin oder Einwohner.

Proteste gegen Massentourismus: Lautstark wie nie demonstrierten im Sommer zehntausende Einwohner der spanischen Touristenhochburgen Mallorca, Barcelona und Málaga auf den Straßen. Ende Juli kamen bis zu 30.000 Mallorquiner im Zentrum von Palma in Mallorca zusammen und machten den Tourismus für steigende Mieten und Lebenshaltungskosten verantwortlich. Mit Plakaten wie „Tourists Go Home – You Are Not Welcome!“ oder „Euer Luxus, unser Elend“ protestierten sie gegen volle Hotelpools und feuchtfröhliche Partys am Ballermann, während die Wasserversorgung in ländlichen Gegenden teils stark eingeschränkt wurde. Und nicht nur in Spanien wehren sich die Einheimischen in beliebten Destinationen immer wieder gegen ausufernden Massentourismus und seine sozialen und ökologischen Folgen.

Tourismus & Frieden: Zwar stand der 1980 von der Welttourismusorganisation (UNWTO) initiierte Welttag des Tourismus am 27. September unter dem Motto „Tourism & Peace“. Auch der Vatikan unterstrich, der kulturelle Austausch zwischen den Völkern durch den Tourismus könne in ein konkretes Engagement für den Frieden münden. Ebenso sollten Reisende die Schönheit der Schöpfung respektieren und Umweltzerstörung vermeiden, so Erzbischof Rino Fisichella vom Dikasterium für die Evangelisierung. Wer in andere Länder reist, trage nicht nur eine Verantwortung für sich selbst. Dafür plädiert auch Prof. Dr. Harald Pechlaner, Leiter des Lehrstuhls Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU), der im Sinne eines „Slow Tourism“ für ein langsameres, nachhaltigeres und informiertes Reisen plädiert. Transformativer, regenerativer, verantwortungsbewusster, slow, degrowth oder restaurativer Tourismus seien Konzepte für eine Wende im Tourismus. Die Reisebranche reagiere auf die Entwicklungen, aber noch zu langsam.

Nach dem Travel & Tourism Radar der ITB Berlin, der führenden Messe der weltweiten Reiseindustrie, sehen die Unternehmen Nachhaltigkeit in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Soziales als gleichermaßen wichtig an, über die Hälfte der befragten Unternehmen legt nach der Studie großen Wert auf den Schutz von Natur und Umwelt, nur 15 Prozent sehen aber damit einen wirtschaftlichen Erfolg oder darin eine Chance für ihr Unternehmen. 40 Prozent der Tourismusunternehmen erkennen den größten Verbesserungsbedarf in der regionalen Zusammenarbeit. Insgesamt handelten sie allerdings nach gesetzlichen Vorgaben und Kundenansprüchen, weniger aus eigenem Antrieb. Auf der ITB Berlin 2024 stellten über 5.500 Aussteller aus 170 Ländern und Regionen ihre Produkte und Dienstleistungen knapp 100.000 Teilnehmern vor. Zum Download: Die kompletten Ergebnisse des ersten ITB Travel & Tourism Radar, eine zweite Runde der Studie ist für Mitte Oktober geplant. Die Ergebnisse aus allen drei Erhebungen sollen in die Programmplanung des ITB Berlin Kongresses 2025 einfließen, der als reine Fachbesuchermesse parallel zur ITB Berlin vom 4. bis 6. März 2025 stattfindet. Mehr unter www.itb.com und ITB Newsroom & Social Media.

Unser Gesprächspartner: Prof. Dr. Harald Pechlaner, 2003 Stiftungsprofessor für Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls Tourismus und Leiter des Zentrums für Entrepreneurship. 2023 Gründungsdekan der KU-School of Transformation and Sustainability. Neben seiner universitären Tätigkeit arbeitet er am Center for Advanced Studies von Eurac Research und ist wissenschaftlicher Leiter des Kompetenzzentrums Tourismus des Bundes, einem Projekt des Bundeswirtschaftsministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Harald Pechlaner ist Autor und (Mit-)Herausgeber von Büchern und (Co-)Autor von vielen Fachartikeln in Büchern und Fachjournalen zu Themen des Tourismus, der Regionalentwicklung, des Managements von (regionalen) Netzwerken, sowie zu ausgewählten Fragen des Verhältnisses von Globalisierung und Regionalisierung. Kontakt: Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Lehrstuhl Tourismus, Pater-Philipp-Jeningen-Platz 2, 85072 Eichstätt, Tel. +49 8421 93-21185, E-Mail: harald.pechlaner@ku.de. Internet: https://www.ku.de/

Samstag, 12.10.2024