Vertrag von Aachen: Das Herz Europas

von Christof Beckmann

Dienstag, 22.01.2019

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(l.) Dr. Antonius Hamers, Foto: Katholischen Büro in Düsseldorf, (r.) Generalvikar Andreas Frick, Foto: Bistum Aachen/Andreas Steindl, Montage: KiP

In diesen Tagen vor 100 Jahren verhandelten sie den Friedensschluss nach dem 1. Weltkrieg. Und erst langsam wuchs nach dem 2.WK die Versöhnung zwischen den „Erbfeinden“. Heute soll sie mit dem „Vertrag von Aachen“ in eine umfassende Zusammenarbeit münden.

INFO: Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron unterzeichnen am 22. Januar einen neuen deutsch-französischen Freundschaftsvertrag in Aachen. Der sogenannte „Aachener Vertrag“ knüpft an den am 22. Januar 1963 von Bundeskanzler Konrad Adenauer und Präsident Charles de Gaulle in Paris geschlossenen Élysée-Vertrag an und soll die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Kultur und Technologie vertiefen. Macron, der im Mai 2017 in Aachen den Karlspreis erhielt, hatte eine Neuauflage des Vertrags bei seiner Europa-Rede in der Pariser Sorbonne-Universität im September 2017 ins Spiel gebracht. Beide Länder verständigten sich dann in ihrer gemeinsamen Erklärung von Meseberg im Juni vergangenen Jahres darauf, bis Ende 2018 einen neuen Élysée-Vertrag auszuarbeiten.

Der Aachener Vertrag: Im Kern geht es nun - wie in den Anfängen der sogenannten Montanunion der 1950er Jahre - um verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit sowie um sogenannte Eurodistrikte zur Umsetzung grenzüberschreitender Projekte. Auch Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsrecht sollen besser abgestimmt werden, ebenso die Außen- und Sicherheitspolitik. Festgeschrieben wird eine enge Koordination vor EU-Gipfeltreffen, um Beschlüsse im gemeinsamen Interesse zu fördern. Vereinbart werden zudem eine stärkere militärische Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung, strategischer Ansätze zur Ausgestaltung der Europäischen Verteidigungsunion und einer engen Partnerschaft mit Afrika, Friedens- und Polizeieinsätze sowie engere Abstimmung in den Vereinten Nationen (VN) und anderen multilateralen Organisationen. Frankreich unterstützt dabei den deutschen Wunsch nach einem ständigen Sitz im VN-Sicherheitsrat. Darüber hinaus sollen Abkommen in den Bereichen Klima, Umwelt, Gesundheit und Nachhaltigkeit zügig umgesetzt werden, um Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit beider Volkswirtschaften zu verbessern. Nicht zuletzt ist eine Stärkung von Begegnungen und Austausch der Zivilgesellschaft vorgesehen: So soll ein gemeinsamer Bürgerfonds Bürgerinitiativen und Städtepartnerschaften fördern. In den Bereichen Bildung und Forschung stehen neben der Förderung des gegenseitigen Spracherwerbs auch die gegenseitige Anerkennung von Schul- und Berufsabschlüssen im Mittelpunkt. Für die Verbesserung des täglichen Lebens in den Grenzregionen erhalten lokale Akteure die Möglichkeit, grenzüberschreitende Projekte wie etwa Kindertagesstätten, Bildungseinrichtungen, Notfall- und Gesundheitsversorgung oder Gewerbezonen einzurichten.
--> Der Vertrag im Wortlaut

Termin mit Symbolkraft: Der Termin zur Unterzeichnung trifft sich mit nicht nur mit dem Jahrestag des Élysée-Vertrags von 1963 und dem jährlichen Deutsch-Französischen Tag, der 2003 zu dessen 40. Jahrestag eingerichtet wurde. Er trifft auch auf die Schatten der Vergangenheit im Verhältnis beider Länder: Denn vor genau 100 Jahren, am 18. Januar 1919, am Jahrestag der deutschen Reichsgründung zu Versailles von 1871 - begannen die Verhandlungen, die in den demütigenden Versailler Friedensvertrag mündeten. Rund 70 Delegierte aus 30 Nationen eröffneten im französischen Außenministerium in Paris die Friedenskonferenz, mit der die Welt nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs neu geordnet werden sollte. Deutschland, Österreich und Russland saßen zunächst nicht mit am Verhandlungstisch und das Ergebnis wurde als „Schmachvertrag“ zum Zündstoff für die Radikalisierung der Politik in der Weimarer Republik. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es nur vorsichtige Annäherungen. Erst die „Historische Erklärung“ des französischen Außenministers Robert Schuman (1886–1963) am 9. Mai 1950 und die Montanunion zu Kohle und Stahl von 1951, die Römischen Verträge von 1957, die gemeinsame Messe mit De Gaulle und Adenauer 1962 in Frankreichs Krönungskathedrale in Reims und die Elysee-Verträge von 1963 eröffneten eine neue historische Chance auf Versöhnung. Angesichts der aktuell andauernden Debatten um Migration, No-Deal-Brexit, Populismus und Nationalismus in Mittel- und Osteuropa, wird dem „Vertrag von Aachen“ zudem eine hohe symbolische Bedeutung für die Entwicklung in der Europäischen Union von heute zugeschrieben.

Das Programm zur Unterzeichnung des Aachener Vertrags:

10:10 Uhr: Ankunft der Bundeskanzlerin am Aachener Rathaus, Begrüßung durch den Oberbürgermeister der Stadt Aachen, Marcel Philipp, und den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen und Bevollmächtigten für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit, Armin Laschet
10:15 – 10:20 Uhr: Ankunft des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, des Präsidenten von Rumänien, Klaus Johannis, des Präsidenten des Europäischen Rats, Donald Tusk, Begrüßung durch die Bundeskanzlerin
10:20 Uhr: Ankunft des Präsidenten der Französischen Republik, Emmanuel Macron, Begrüßung durch die Bundeskanzlerin, anschl. Eintrag in das Goldene Buch der Stadt Aachen und gemeinsamer Gang in den Krönungssaal
10:30 Uhr: Unterzeichnungszeremonie des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die deutsch-französische Zusammenarbeit und Integration
Ablauf: Begrüßung durch den Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen und Bevollmächtigten für die deutsch-französische kulturelle Zusammenarbeit
- Musikstück, Reden der Bundeskanzlerin und des Präsidenten der Französischen Republik
- Unterzeichnung des Vertrags über die deutsch-französische Zusammenarbeit
- Nationalhymnen und Europahymne
- Reden des Präsidenten des Europäischen Rats, des Vorsitzenden im Rat der Europäischen Union, des Präsidenten von Rumänien und des Präsidenten der Europäischen Kommission
- Musikstück

11:30 Uhr: Empfang im Aachener Rathaus, anschl. gemeinsamer Gang der Bundeskanzlerin und des französischen Präsidenten zur Aula Carolina
12:15 Uhr: Teilnahme der Bundeskanzlerin und des Präsidenten der Französischen Republik an einer Diskussion mit deutschen und französischen Bürgerinnen und Bürgern in der Aula Carolina
13:30 Uhr: Gemeinsamer Gang der Bundeskanzlerin und des Präsidenten der Französischen Republik zum Rathaus13:35-13:40 Uhr: Abreise der Bundeskanzlerin und des Präsidenten der Französischen Republik
Ein Livestream ist online abrufbar auf: www.bundesregierung.de
 

Statement von Bischof Dr. Helmut Dieser
zur Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags

Was Menschen aufbauen und gestalten, ist niemals perfekt. Es steht unter dem dau­ernden Druck von Veränderungen, von erkannten Fehlern und besse­ren Vorschlägen. Es steht aber auch unter dem festen Vertrauen des Menschen, das Gute erkennen und auf­bauen zu können.
Vor dieser Einschätzung begrüße ich ausdrücklich die Erneuerung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages durch Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel im Vertrag von Aachen, den beide am 22. Januar 2019 in Aachen unterzeichen wer­den.

Mit diesem Vertragsabschluss wird das Versöhnungs- und Aufbauwerk ihrer beider Vor­gän­ger Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, das aus dem Pariser Élysée-Vertrag vom 22. Januar 1963 hervorging, bestätigt, fortgesetzt und vielfältig weiterentwickelt.
Das Signal des Aachener Vertrages ist nicht ausschließlich bilateral, sondern durch und durch europäisch.
Der Gedanke der Zusammen­gehörigkeit in Europa war und ist für die Eu­ro­­­päer im Ganzen und für uns Deutsche im Besonderen ein unerwarteter und unverdienter Segen und hat nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust zur Wiedereingliederung unseres Volkes in die europäische Völkerfamilie und zum Wohlergehen unzähliger Menschen in allen Ländern Europas geführt.

Und dieses Wohlergehen hat konkrete Namen: Freiheitliche demokratische Verfassungen in den europäischen Ländern, die untereinander anschlussfähig und nicht feindselig sind; Ge­wal­­ten­tei­lung, Rechtsstaatlichkeit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Frei­zügig­keit, Grenz­öff­nung, Wirt­schafts­gemeinschaft und begonnene Wäh­­rungs­­gemein­schaft.
Die Menschen der meisten Länder unseres Kontinents genießen heute die Vor­teile von all dem und wollen daran festhalten, keinen Rückschritt dahin­ter mehr zulas­­sen.
Und für all das steht die Europäische Union.

Wir wissen alle: Europa ist längst nicht perfekt, nicht in allem gerecht, nicht in allem ausge­glichen und effektiv.
Es gibt darum immer gute Gründe, sich in der Politik zu engagieren, Missstände zu benennen und überwinden, Europa positiv weiter entwickeln zu wollen.
Mit seinen konkreten Vereinbarungen zielt der Vertrag von Aachen solche Verbesserungen konkret an, zum Beispiel verbindlichere Abstimmungen in der Europapolitik, eine starke ge­meinsame Außen- und Sicherheitspolitik und einen Wirtschaftsraum mit gemeinsamen Re­geln. Die beiden Länder Deutschland und Frankreich verstehen sich dabei als Partner und Motor für und in Europa.

An eine solche Stärkung Europas darf sich dann aber auch die Hoffnung knüpfen, dass die Länder unseres Kontinentes sich nicht abschotten gegen den Rest der Welt, sondern gemein­sam fähig werden, die Herausforderungen der globalen Migration und der friedlichen und gerechten Entwicklung der Länder des Südens mit zu gestalten.
Ein starkes Europa muss seine Stärke dafür einsetzen, den Schwächeren und Bedrängten aufzuhelfen, nicht sie einfach nur abzuwehren!
Ein starkes Europa lässt Vielfalt zu und schützt und fördert die, die die geistigen und geist­lichen Grundlagen seiner Werte lebendig halten!

Darum ist die Wahl der Stadt Karls des Großen für die Unterzeichnung des Aachener Vertra­ges auch eine willkommene Erinnerung an die geschichtlichen Wurzeln der Euro­päischen Idee. Karl, der Vater Europas, begriff in seinem Einigungswerk nicht allein die imperiale Staatlichkeit und militärische Gewalt als Einigungsprinzip Europas, sondern tiefer noch den christlichen Glauben und damit verbunden die Förderung und die Verbreitung von Bildung.
Auch der Aachener Vertrag steht aktuell unter der Herausforderung der Sinnfrage. Der wie­der aufflammende Nationalismus und die Ausbreitung populistischer Vereinfachungen und allgemeiner Heilsversprechen werden in die Enttäuschung führen und stiften schon jetzt Ver­wirrung, Zwietracht und Feindseligkeit.

Nichts, was Menschen aufbauen, ist absolut und perfekt.
Der christliche Glaube erhofft das Absolute und Perfekte allein von Gott.
Darum aber sind Christen frei und fähig, zusammen auch mit Anders- und Nichtgläubigen, in dieser Welt das Gute anzustreben, Fehler zu erkennen und neue, bessere Schritte zu wagen.
In diesem christlichen Geist wird Europa sich weiter entwickeln können.
Darum begrüße ich den Aachener Vertrag, der Europa an seine Wurzeln erinnert und stärkt!“
(Bistum Aachen, iba/Na 007 vom 22. Januar 2019)
 

Unsere Gesprächspartner:

Dr. Andreas Frick: Der Generalvikar des Bistums Aachen, Jahrgang 1964, stammt aus gebürtig aus der Bischofstadt und wurde 1989 in Rom zum Priester geweiht. Nach Kaplansjahren in der Pfarrei St. Nikolaus in Meerbusch-Osterath war er 1997-2007 Domvikar am Hohen Dom zu Aachen, übernahm 1997-2004 die Leitung der Pfarrei St. Foillan in Aachen, von 2003 bis 2004 war er Leiter der Gemeinschaft der Gemeinden Aachen-Mitte und Dechant des Dekanates Aachen-Mitte. Weitere Stattionen: 2004-2007 Direktor am Pauluskolleg in Bonn, dem Theologenkonvikt des Bistums Aachen, 2004- 2012 Mitglied des Kuratoriums für die Fortbildung der Priester, 2005 -2015 Richter am kirchlichen Arbeitsgericht erster Instanz der nordrhein-westfälischen Bistümer, 2007-2009 Pfarrer an St. Peter und Paul in Eschweiler Leiter der Gemeinschaft der Gemeinden Eschweiler-Mitte. Am 9. Januar 2015 übernahm Dr. Andreas Frick das Amt des Generalvikars des Bistums Aachen und wurde am selben Tag zum residierenden Domkapitular ernannt. Bischof Helmut Dieser ernannte ihn am 12. November 2016 erneut zum Generalvikar. Mehr: https://www.bistum-aachen.de

Dr. Antonius Hamers: Der Leiter des Katholischen Büros in Düsseldorf wurde 1969 in Lennestadt geboren und wuchs in Heggen (Kreis Olpe) auf. Nach dem Abitur 1989 in Attendorn Wehrdienst bei der Luftwaffe in Budel (NL) und Lennestadt, 1990-1994 Studium der Rechtswissenschaften in Köln und Würzburg, 1995 1. Juristische Staatsexamen in Würzburg. Nach Referendariat im Freistaat Thüringen, an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer und am Europäischen Parlament 1997 2. Juristisches Staatsexamen in Erfurt und Studium des Europäischen Wirtschaftsrechts am Europakolleg der Universität Hamburg. 1998–2001 Referent beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in Köln und Berlin, 1999 Promotion in Würzburg mit einer Arbeit zum europäischen Parlamentsrecht. 2001-2006 Studium der Katholischen Theologie und des Kirchenrechts in Münster und Rom, 2007 Diakonweihe, 2008 Priesterweihe, Kaplan in St. Agatha in Mettingen, Lizentiat im Kanonischen Recht in Münster. 2011-2014 Polizeidekan im Bistum Münster und Lehrbeauftragter im Fach Ethik an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Seit 2011 ist Antonius Hamers Lehrbeauftragter am Institut für Kanonisches Recht der Universität Münster. 2014 wurde er als Leiter des Katholischen Büros in Düsseldorf eingeführt. Die Vertretung der Erzbistümer Köln und Paderborn sowie der Bistümer Aachen, Essen und Münster im größten deutschen Bundesland steht im Austausch mit Landesregierung, Staatskanzlei und Ministerien, aber auch mit den Fraktionen und Abgeordneten im Landtag NRW, den Parteien, kommunalen Spitzenverbänden, Medien, Hochschulen und anderen Institutionen. 

Kontakt: KATHOLISCHES BÜRO NRW, Vertretung der Bischöfe in Nordrhein-Westfalen, Hubertusstraße 3, 40219 Düsseldorf, Tel. 0211 / 87 67 26 - 0, Fax 0211 / 87 67 26 – 33, E-Mail: zentrale(at)katholisches-buero-nrw.de, Internet: http://www.katholisches-buero-nrw.de

Dienstag, 22.01.2019