Abschied von Benedikt heute in Rom

von Christof M. Beckmann

Donnerstag, 05.01.2023

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Papst em. Benedikt XVI., Foto: KIP

Lange Schlangen gab es seit Montag vor dem Petersdom in Rom als Tausende dem verstorbenen Papst emeritus die letzte Ehre erwiesen. Er hatte 2005 das Amt übernommen, das zu ihm so gar nicht zu passen schien: Heute wird sein Nachfolger das Requiem halten.

INFO: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. starb am Samstag, 31. Dezember, um 9.34 Uhr im Alter von 95 Jahren in seiner Wohnung im Vatikan. Er war von 2005 bis 2013 Oberhaupt der katholischen Kirche und damit der erste deutsche Papst seit 482 Jahren. Seit seinem überraschenden Amtsverzicht im Februar 2013 lebte er in einem früheren Kloster in den vatikanischen Gärten und hatte sich zuletzt, von seinem langjährigen Wegbegleiter Georg Gänswein und Ordensschwestern betreut, fast gänzlich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Am Mittwoch vergangener Woche bat Papst Franziskus um Beistand für seinen „sehr kranken“ Vorgänger Benedikt XVI. Bei der Generalaudienz im Vatikan rief er zu einem „besonderen Gebet“ für den 95-jährigen emeritierten Papst auf, „der in der Stille die Kirche unterstützt“.

Der Leichnam des emeritierten Papstes wurde am Montagmorgen für drei Tage im Petersdom aufgebahrt. Wer dem Verstorbenen die letzte Ehre erweisen wollte, hatte dazu jeweils bis 19.00 Uhr abends Gelegenheit. Am ersten Tag der Aufbahrung von Benedikt XVI. im Petersdom kamen dazu nach Angaben der Vatikanpolizei 65.000 Menschen.

Totenmesse für Benedikt XVI. dem Petersplatz: Am Donnerstagmorgen um 9.30 Uhr ist die Totenmesse für Benedikt XVI. unter Leitung von Papst Franziskus auf dem Petersplatz geplant - ein historisches Ereignis, das es in dieser Form so noch nie gab. Danach wird der Sarg zur Beerdigung in die Grotten unter dem Petersdom gebracht. Das schlichte Grab, in dem Benedikt XVI. beerdigt werden soll, war zuvor die Ruhestätte seines Vorgängers Johannes Paul II., bevor dieser nach seiner Seligsprechung ins Innere der Basilika umgebettet wurde.

Nur offizielle Delegationen aus Deutschland und Italien können laut Mitteilung des Heiligen Stuhls bei dem Gottesdienst vertreten sein. Delegationen anderer Länder könnten auf privater Basis teilnehmen. Für die Bundesrepublik werden Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zum Trauergottesdienst am 5. Januar nach Rom reisen. Zur Delegation gehören zudem Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sowie Bundesratspräsident Peter Tschentscher und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth. Damit werden die Spitzen aller fünf Verfassungsorgane der Bundesrepublik beim Papstbegräbnis anwesend sein. 

Auch weitere Staatsoberhäupter und Vertreter christlicher Kirchen und anderer Glaubensgemeinschaften werden erwartet. Mehrere deutsche Bischöfe haben ihre Teilnahme zugesagt, darunter der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Limburger Bischof Georg Bätzing, und die beiden Kardinäle Reinhard Marx und Rainer Maria Woelki. Der bayerische Landesbischof und von 2014 bis 2021 amtierende EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm kommt zum Begräbnis als Vorsitzender des Zentralausschusses des Weltkirchenrats (ÖRK). Delegationen des Patriarchats von Konstantinopel und sechs weitere ostkirchlichen Patriarchaten werden kommen, der Moskauer Patriarch Kyrill I. hat den Leiter seines Außenamts, Metropolit Antonij, entsandt. Auch mehrere altchristliche und altorientalische Kirchen sind bei der Feier mit Delegationen vertreten, darunter die koptische, die georgische, die armenische und die assyrische Kirche. Das Oberhaupt der anglikanischen Weltgemeinschaft, Erzbischof Justin Welby von Canterbury, wird durch Erzbischof Ian Ernest vertreten, der Repräsentant der anglikanischen Kirche in Rom ist. Auch der Weltrat der Methodisten und die weltweite Evangelikale Allianz haben Vertreter benannt.

Trauerfeier live vom Petersplatz: Das ZDF wird die Totenmesse für den früheren Papst Benedikt XVI. am Donnerstag live vom Petersplatz in Rom übertragen. Ab 9.05 Uhr ist die Trauerfeier im Fernsehen sowie als Livestream in der ZDF-Mediathek zu sehen. In der Sendung sollen unter anderen Autor und Benedikt-Biograf Peter Seewald sowie Daniela Ordowski von der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands zu Wort kommen. Auch Phoenix, der gemeinsame Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF, will die Totenmesse auf dem Petersplatz live übertragen. Theologe und Moderator Stephan Kulle wird die Zeremonie kommentieren und bereits am Mittwochabend um 17.30 Uhr von den Vorbereitungen berichten. Er will im Gespräch mit Vertretern der Kirche und aus der Politik das theologische und weltliche Erbe des ehemaligen Papstes ergründen, hieß es.

Bundesweites Trauergeläut und Trauerbeflaggung: In allen katholischen Kirchen der 27 Bistümer in Deutschland sollen bundesweit gegen 11 Uhr am Donnerstag zur Beerdigung des früheren Papstes die Glocken läuten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat aus Anlass des Todes des ehemaligen Papstes bundesweite Trauerbeflaggung der obersten Bundesbehörden angeordnet. Die Anordnung gelte für den Tag seines Todes und für den Tag der offiziellen Trauerfeierlichkeiten in Rom. Auch Innenminister Herbert Reul hat für Donnerstag, 5. Januar 2023, Trauerbeflaggung angeordnet. Die Anordnung gilt für alle Dienstgebäude des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der übrigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterliegen.

Gedenkgottesdienste in NRW: Am kommenden Wochenende finden in mehreren Bischofsstädten in Nordrhein-Westfalen Gottesdienste für den verstorbenen früheren Papst statt. Am Samstag leitet Bischof Helmut Dieser ab 10.00 Uhr ein Requiem im Aachener Dom. Um 12.00 Uhr folgt ein Gottesdienst im Kölner Dom mit Kardinal Rainer Maria Woelki. Am Sonntag feiert Bischof Felix Genn ein Kapitelsamt im Münsteraner Dom und in Essen leitet Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck am 15. Januar ab 10.00 Uhr ein Requiem in der dortigen Kathedrale. In Paderborn fand der Gottesdienst bereits am Montagabend statt.

Ein Leben im Dienst der Kirche: Joseph Ratzinger wurde am 16.04.1927 als drittes Kind des Gendarmen Joseph Ratzinger und seiner Frau Maria in Marktl am Inn geboren und noch am selben Tag in der Pfarrkirche Sankt Oswald getauft. Kindheit und Jugend verbrachte er in Traunstein im Chiemgau nahe der österreichischen Grenze und wurde gegen Kriegsende als Flakhelfer eingezogen. Die weiteren Stationen: 1946-1951 Studium der Philosophie und Theologie in Freising und München, 1951 Priesterweihe am 29. Juni, 1953 Dozent für Dogmatik und Fundamentaltheologie in Freising und Dissertation über das Thema „Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche“, 1957 Habilitation in München über „Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura“. Ab 1959 lehrte er als Professor in Bonn (1959-1963), Münster (1963-1966), Tübingen (1966-1969) und Regensburg (1969-1977), war 1962-1965 beim Zweiten Vatikanischen Konzil theologischer Berater des Kölner Kardinals Josef Frings, wurde 1977 zum Erzbischof von München und Freising berufen und zum Kardinal erhoben. 1981 machte ihn Johannes Paul II. zum Leiter der Römischen Glaubenskongregation, zum Präsidenten der Päpstlichen Bibelkommission und der Internationalen Theologenkommission. 2002 wird er Dekan des Kardinalskollegiums und leitet nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. am 2. April 2005 das Konklave zur Papstwahl. Am 19. April wird er in einem der kürzesten Konklave der Geschichte zum Papst gewählt und nannte sich Benedikt XVI. - in Erinnerung an den Friedenspapst Benedikt XV. und an den Europa-Patron und Ordensgründer Benedikt von Nursia.

Bei seiner ersten von 24 Auslandsreisen bereitete der Weltjugendtag in Köln dem „deutschen Papst“ einen begeisterten Empfang, 2006 erschien seine erste Enzyklika „Deus caritas est“ (Gott ist die Liebe), er reiste nach Polen, in seine bayerische Heimat und in die Türkei. 2007 erschien „Jesus von Nazareth“, der erste von drei Teilen von Joseph Ratzingers Deutung der Gestalt Jesu, er erleichterte die Feier der alten lateinischen Messe in der vorkonziliaren Form von 1962 als „außerordentliche Form der Liturgie der Kirche“. 2008 sorgte die Reform der Karfreitags-Fürbitte im vorkonziliaren Messritus von 1962 für Verstimmung in der jüdischen Welt, Auslandsreisen führten ihn in die USA zum Weltjugendtag in Sydney. 2009 nahm Benedikt XVI. die Exkommunikation für vier Bischöfe der traditionalistischen Priesterbruderschaft Pius X. zurück, um den Weg zu Gesprächen zu ebnen. Als zeitgleich einer der Bischöfe in einem TV-Interview den Holocaust leugnete, reagierte Papst Benedikt auf weltweite Empörung mit klaren Absagen an jede Form des Antisemitismus und der Relativierung der Schoah. Nach einer Pilgerfahrt ins Heilige Land, nach Jordanien, Israel und in die Palästinensergebiete veröffentlichte er die Sozialenzyklika „Caritas in veritate“ zu Aspekten der Globalisierung und der Finanz- und Wirtschaftskrise. Überschattet wurde sein Pontifikat 2010 von einer neuen Welle des Missbrauchsskandals, die die katholische Kirche in Deutschland und Österreich erfasste.

Eine Reise nach Schottland und England - der erste Staatsbesuch eines Papstes in Großbritannien – brachte ihm viel Sympathie ein, 2011 war Benedikt zu Besuch beim Weltjugendtag in Madrid und unternahm seine dritte Deutschlandreise, wo er eine bemerkenswerte Rede vor dem Deutschen Bundestag hielt. Seine ANSPRACHE vor dem Deutschen Bundestag im Berliner Reichstagsgebäude am 22. September 2011 bei der APOSTOLISCHEN REISE NACH DEUTSCHLAND 22.-25. SEPTEMBER 2011 ist im Video dokumentiert und auf der Seite des Vatikan im Wortlaut. 2012 reiste er nach Mexiko und Kuba, wo er mit Fidel Castro zusammentraf. Im Libanon warb er für Religionsfreiheit und für einen Verbleib der Christen in der Region, er rief eine Weltbischofssynode zum Thema Neuevangelisierung zusammen und eröffnete 50 Jahre nach Beginn des Konzils ein „Jahr des Glaubens“.

Nur kurz nach der Vollendung seiner „Jesus-Trilogie“ im November 2012 kündigte Benedikt XVI. am 11. Februar 2013 überraschend seinen Amtsverzicht an und legte zum 28. Februar nach sieben Jahren, zehn Monaten und neun Tagen sein Amt nieder - ein fast einmaliger Akt in der Geschichte. Die Erklärung zum Amtsverzicht: Declaratio (11. Februar 2013) (Video), Ansprache bei der Audienz am Aschermittwoch 2013 in Deutsch.

Zum neuen Papst wählten die Kardinäle im Konklave am 13. März 2005 den Argentinier Kardinal Jorge Mario Bergoglio, Erzbischof von Buenos Aires, der als erster in der Geschichte den Papstnamen Franziskus wählte. Als „Papa emeritus“ zog Benedikt von Castel Gandolfo am 2. Mai 2005 in das ehemalige Kloster „Mater Ecclesiae“ in den vatikanischen Gärten, führte seither ein weitgehend zurückgezogenes Leben und traf immer wieder auch mit seinem Amtsnachfolger Franziskus zusammen.

Ratzinger-Gesamtausgabe: Die Ausgabe ist auf 16 Bände (teilweise in zwei Teilbänden) angelegt. Jeder Band versammelt die zentralen Schriften, die Joseph Ratzinger – „ein Jahrhunderttheologe, der bis zum heutigen Tag ganze Generationen von Theologen und Christen jeden Alters und jeder Konfession geprägt hat und weiterhin prägt“ (Herder) zum entsprechenden Bandthema verfasst hat. Pro Jahr erscheinen 2 bis 3 Bände. Mehr: https://www.herder.de/theologie-pastoral/shop/k2/reihen/joseph-ratzinger-gesammelte-schriften.

Prominente über den Papst zu seinem 85. Geburtstag: Zu diesem Anlass hat sein Privatsekretär, Prälat Dr. Georg Gänswein, das Buch „Benedikt XVI. – Prominente über den Papst“ herausgegeben. Bekannte Persönlichkeiten aus den Bereichen Kirche, Politik und Sport charakterisierten seine Persönlichkeit und bekennen sich öffentlich zum Papst und zum Glauben. Das Buch: Georg Gänswein (Hg.): Benedikt XVI. - Prominente über den Papst, 192 Seiten mit 20 Abbildungen, Media Maria Verlag, ISBN 978-3-9814444-6-9, 19,95 Euro.

Sammelband zum 90. Geburtstag: Anlässlich des 90. Geburtstags von Benedikt XVI. am 16. April 2017 publizierte die Vatikanische Verlagsbuchhandlung (LEV) den Sammelband „Cooperatores Veritatis“, der auf Initiative der Stiftung Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. zusammengestellt wurde. Sie versammelt die Beiträge der 13 bisherigen Preisträger des seit 2011 vergebenen Ratzinger-Preises. Das Vorwort stammt von Giuseppe Costa, dem Direktor der Vatikan-Buchhandlung. Der Ratzinger-Preis wird seit 2011 jährlich von der vatikanischen Stiftung nach Rücksprache mit Benedikt XVI. (2005-2013) verliehen. Er ist mit 50.000 Euro dotiert. Die Stiftung finanziert sich durch die Verkaufserlöse der Bücher des emeritierten Papstes sowie aus Spenden.

Umfassende Ratzinger-Biografie 2020: Am 5. Mai 2020 erschien eine umfangreiche und nicht ganz unumstrittene Biografie des ehemaligen deutschen Papstes Benedikt XVI. von Peter Seewald mit dem Titel „Benedikt XVI. - Ein Leben“. Auf 1.184 Seiten versammelt das Buch viele Informationen und Einsichten, die der Autor in Gesprächen mit dem zurückgetretenen Papst, dessen Bruder und den Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung aufgezeichnet hat. Dazu gehören Details über die Umstände und die Planung seines sensationellen Rücktritts im Jahr 2013, von dem vorab nur eine Handvoll Vertraute wussten, sowie über den Umgang mit dem Skandal des sexuellen Missbrauchs in der Kirche. Das Schlusskapitel ist ein allerletztes, schriftlich geführtes Interview Seewalds mit Benedikt XVI. aus dem Herbst 2018. Darin geht er ausführlich auf Kritik an seinem Rücktritt sowie an der Ausübung seiner Rolle als emeritierter Papst ein. Die bislang ausführlichste Biografie stammte von Ratzinger selbst und erschien 1998 unter dem Titel „Aus meinem Leben (1927-1977)“. Das Buch: Peter Seewald, Benedikt XVI.- Ein Leben, Droemer Knaur; - 38,00 Euro (D), 978-3-426-27692-1, - E-Book: 29,99 Euro, 978-3-426-42205-2; 1.184 Seiten

Schlüsseltexte zum „Papst der Bücher“: Der Freiburger Verleger Manuel Herder will in der übernächsten Woche ein Buch mit zentralen Texten aus der Feder des verstorbenen Theologieprofessors und emeritierten Papstes veröffentlichen. „Der Papst der Bücher. Schlüsseltexte zum Denken Benedikts XVI.“ umfasst 316 Seiten, wie der Verlag am Mittwoch mitteilte. Herder hat die Texte ausgesucht und dazu teilweise Einführungen formuliert. Joseph Ratzinger/Papst Benedikt XVI. hat die meisten seiner Werke in dem Verlag veröffentlicht. Herder erklärte, der frühere Papst sei den Spuren des Jesus von Nazareth „wie ein literarischer Detektiv“ gefolgt. Auch als Kirchenoberhaupt sei er „im Herzen Autor“ geblieben. In den Texten gehe es „nicht nur um die Hoffnung oder die Liebe, sondern auch um Politik, Gesellschaft oder darum, wie der Glaube das Leben zu einem Fest macht“. Päpste hätten „Kathedralen und Paläste gebaut, Politik betrieben und Kriege geführt“, aber keiner habe „Jesus so beschrieben wie Joseph Ratzinger“.

Zu den aktuellen Entwicklungen: www.vatican.va

Das geistliche Testament von Papst Benedikt XVI.: Am Tag seines Todes, dem Silvestertag 2022 (31. Dezember), hat der Vatikan das Geistliche Testament von Papst Benedikt XVI. veröffentlicht, das er bereits am 29. August 2006 verfasste. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert den Text in der Originalfassung (in alter Rechtschreibung):

„Mein geistliches Testament

Wenn ich in dieser späten Stunde meines Lebens auf die Jahrzehnte zurückschaue, die ich durchwandert habe, so sehe ich zuallererst, wieviel Grund ich zu danken habe. Ich danke vor allen anderen Gott selber, dem Geber aller guten Gaben, der mir das Leben geschenkt und mich durch vielerlei Wirrnisse hindurchgeführt hat; immer wieder mich aufgehoben hat, wenn ich zu gleiten begann, mir immer wieder neu das Licht seines Angesichts geschenkt hat. In der Rückschau sehe und verstehe ich, daß auch die dunklen und mühsamen Strecken dieses Weges mir zum Heile waren und daß Er mich gerade da gut geführt hat.

Ich danke meinen Eltern, die mir in schwerer Zeit das Leben geschenkt und unter großen Verzichten mir mit ihrer Liebe ein wundervolles Zuhause bereitet haben, das als helles Licht alle meine Tage bis heute durchstrahlt. Der hellsichtige Glaube meines Vaters hat uns Geschwister glauben gelehrt und hat als Wegweisung mitten in all meinen wissenschaftlichen Erkenntnissen standgehalten; die herzliche Frömmigkeit und die große Güte der Mutter bleiben ein Erbe, für das ich nicht genug danken kann.

Meine Schwester hat mir selbstlos und voll gütiger Sorge über Jahrzehnte gedient; mein Bruder hat mir mit der Hellsicht seiner Urteile, mit seiner kraftvollen Entschiedenheit und mit der Heiterkeit des Herzens immer wieder den Weg gebahnt; ohne dieses immer neue Vorausgehen und Mitgehen hätte ich den rechten Weg nicht finden können.

Von Herzen danke ich Gott für die vielen Freunde, Männer und Frauen, die er mir immer wieder zur Seite gestellt hat; für die Mitarbeiter auf allen Stationen meines Weges; für die Lehrer und Schüler, die er mir gegeben hat. Sie alle vertraue ich dankbar seiner Güte an. Und danken möchte ich dem Herrn für die schöne Heimat im bayerischen Voralpenland, in der ich immer wieder den Glanz des Schöpfers selbst durchscheinen sehen durfte.

Den Menschen meiner Heimat danke ich dafür, daß ich bei ihnen immer wieder die Schönheit des Glaubens erleben durfte. Ich bete darum, daß unser Land ein Land des Glaubens bleibt und bitte Euch, liebe Landsleute: Laßt euch nicht vom Glauben abbringen. Endlich danke ich Gott für all das Schöne, das ich auf den verschiedenen Stationen meines Weges, besonders aber in Rom und in Italien erfahren durfte, das mir zur zweiten Heimat geworden ist.

Alle, denen ich irgendwie Unrecht getan habe, bitte ich von Herzen um Verzeihung.

Was ich vorhin von meinen Landsleuten gesagt habe, sage ich nun zu allen, die meinem Dienst in der Kirche anvertraut waren: Steht fest im Glauben! Laßt euch nicht verwirren! Oft sieht es aus, als ob die Wissenschaft - auf der einen Seite die Naturwissenschaften, auf der anderen Seite die Geschichtsforschung (besonders die Exegese der Heiligen Schriften) - unwiderlegliche Einsichten vorzuweisen hätten, die dem katholischen Glauben entgegenstünden.

Ich habe von weitem die Wandlungen der Naturwissenschaft miterlebt und sehen können, wie scheinbare Gewißheiten gegen den Glauben dahinschmolzen, sich nicht als Wissenschaft, sondern als nur scheinbar der Wissenschaft zugehörige philosophische Interpretationen erwiesen - wie freilich auch der Glaube im Dialog mit den Naturwissenschaften die Grenze der Reichweite seiner Aussagen und so sein Eigentliches besser verstehen lernte.

Seit 60 Jahren begleite ich nun den Weg der Theologie, besonders auch der Bibelwissenschaften, und habe mit den wechselnden Generationen unerschütterlich scheinende Thesen zusammenbrechen sehen, die sich als bloße Hypothesen erwiesen: die liberale Generation (Harnack, Jülicher usw.), die existenzialistische Generation (Bultmann usw.), die marxistische Generation. Ich habe gesehen und sehe, wie aus dem Gewirr der Hypothesen wieder neu die Vernunft des Glaubens hervorgetreten ist und hervortritt.

Jesus Christus ist wirklich der Weg, die Wahrheit und das Leben - und die Kirche ist in all ihren Mängeln wirklich Sein Leib. Endlich bitte ich demütig: Betet für mich, damit der Herr mich trotz all meiner Sünden und Unzulänglichkeiten in die ewigen Wohnungen einläßt. Allen, die mir anvertraut sind, gilt Tag um Tag mein von Herzen kommendes Gebet.

Benedictus PP XVI.“

Donnerstag, 05.01.2023