Gute Geschichte

von Daniel Schneider (Foto: Lea Barnowsky)

Donnerstag, 03.10.2024

Pflastersteine im Boden erinnern in Berlin an den Verlauf der Mauer
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Pflastersteine erinnern in Berlin an den Verlauf der Mauer quer durch die Stadt. (Foto: Pixabay)

Jede gute Geschichte lebt von Spannung, von dramatischen Ereignissen und unerwarteten Wendungen. Ein gelungenes Beispiel dafür ist die Geschichte von der Wiedervereinigung Deutschlands, die schon vor dem Mauerfall 1989 begann.

Dass eine gewaltlose Revolution das SED-Regime schließlich zu Fall brachte, ist nicht nur den vielen Tausend Menschen zu verdanken, die in den Wochen und Monaten zuvor friedlich für ihre Freiheit demonstrierten. Sie ist auch den Kirchengemeinden zu verdanken, in deren Schutz die Protestbewegung der DDR über Jahre zu dem wachsen konnte, was dann 1989 auch durch Volkspolizei, Armee und Stasi nicht mehr aufzuhalten war.

Den wohl bekanntesten "Schutzraum" bot die Leipziger Nikolaikirche. Schon zu Beginn der 80er Jahre – als auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze hochgerüstet wurde – gab es hier das erste Friedensgebet. Anfangs nur an zehn Tagen im Jahr, ab September 1982 aber wöchentlich, immer montags um 17 Uhr. Nach einer Verhaftungswelle in Berlin 1988 wurde dieses Angebot erweitert um tägliche Fürbitten-Gebete, zu denen regelmäßig über 100 Teilnehmer kamen.

Die Treffen in der Nikolaikirche sprachen sich herum, und schon bald ging es nicht mehr nur um Fürbitten für die Berliner Inhaftierten. Zu einem Gesprächsabend "Leben und Bleiben in der DDR" am 19. Februar 1988 kamen statt der erwarteten 50 Ausreisewilligen gut 600: "Sie erlebten den Abend so positiv, dass sie am Ende fragten, ob auch sie zu den Friedensgebeten willkommen seien, auch wenn sie Nichtchristen sind", erinnert sich Christian Führer, der im Sommer 2014 verstorbene damalige Pfarrer der Nikolaikirche. Von da an kamen montags jedes Mal Hunderte Menschen zum Friedensgebet, was der Kirche nun auch die ungeteilte Aufmerksamkeit der Stasi einbrachte.

Einen Tag nach der letzten Volkskammer-Wahl im Frühjahr 1989 wurden alle Zufahrtsstraßen zur Nikolaikirche durch Polizeiketten besetzt. Doch die abschreckende Wirkung blieb aus. Im Gegenteil! Je mehr Kontroll- und Abschreckungsmaßnahmen ergriffen wurden, umso mehr Menschen kamen in und vor die Nikolaikirche. Die Bilder von Verhaftungen auf dem Nikolaikirchplatz – gedreht von westlichen Kamerateams - gingen um die Welt und via Westfernsehen auch durch die DDR. Nun kamen noch mehr Menschen aus allen Teilen der Republik nach Leipzig in die Nikolaikirche.

So kam der 9. Oktober 1989 heran, über den Pfarrer Christian Führer einmal sagte: "An diesem Tag wurde die Nikolaikirche im Verbund mit den anderen Innenstadtkirchen zum Ausgangspunkt der gewaltlosen Demonstration der 70.000 und damit zum Kernpunkt der friedlichen Revolution überhaupt". Die nächsten "Montagsdemonstrationen" hatten schon doppelt so viele Teilnehmer. Am 18. Oktober trat erst Honecker zurück, im November dann das Politbüro und am 4. November gab es in Berlin-Ost die erste genehmigte Massendemonstration. Eine Million Menschen nahmen daran teil.

Zwei Tage später präsentierte das SED-Regime ein neues Reisegesetz, das wegen seiner restriktiven Auslegung heftig kritisiert wurde und schließlich zum Rücktritt des DDR-Ministerrates führte. Die von Günther Schabowski am 9. November präsentierte Neufassung bedeutete faktisch die Öffnung aller DDR-Grenzübergänge und damit nach 28 Jahren das Ende der deutsch-deutschen Teilung.

Im März 1990 fanden in der damaligen DDR die ersten freien, gleichen und geheimen Wahlen zur Volkskammer statt. Einer der auf diese Weise neu gewählten Abgeordneten war der evangelische Pfarrer Markus Meckel aus dem brandenburgischen Müncheberg. In der ersten (und einzigen) frei gewählten Regierung der DDR war Meckel als Außenminister zwischen April und August 1990 u.a. auch den Verhandlungen mit der westdeutschen Regierung unter Helmut Kohl beteiligt, deren Ergebnisse schließlich in dem sogenannten Einheitsvertrag festgehalten wurden.

Das letzte Wort hatte in der Frage die Volkskammer der DDR, die am 22. August 1990 zu einer von DDR-Ministerpräsident de Maizière beantragten Sondersitzung zusammenkam. Die Beratungen begannen um 21 Uhr, und die teils hitzig geführten Debatten dauerten bis tief in die Nacht. Erst am frühen Morgen des folgenden Tages konnte die damalige Präsidentin der Volkskammer, Sabine Bergmann-Pohl, um 2:30 Uhr das Abstimmungsergebnis bekanntgeben.

Von den abgegebenen 363 Stimmen war keine ungültig. Die überwältigende Mehrheit der Abgeordneten (294) stimmte mit „ja“, 62 mit „nein“ und sieben enthielten sich der Stimme. Entsprechend stellte die Präsidentin Sabine Bergmann-Pohl schließlich fest: „Die Volkskammer erklärt den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes mit der Wirkung vom 3. Oktober 1990.“ So wurde das Datum zum neuen „Tag der Deutschen Einheit“. Der frühere Einheitstag, der in Erinnerung an den Volksaufstand in der DDR am 17.6.1953, immer am 17. Juni gefeiert worden war, entfiel damit.

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