Stille Helden: Wer ist Max Zienow?

von Stefan Klinkhammer

Montag, 09.10.2023

Fotos: Bischöfliche Pressestelle / Gudrun Niewöhner / Collage KIP
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Der 102-jährigen Maria Zienow sind die Erinnerungen an ihre Familie und besonders an Vater Max wichtig. Fotos: Bischöfliche Pressestelle / Gudrun Niewöhner / Collage KIP

Viele Jahre war Max Zienow in der Öffentlichkeit unbekannt. Der in der Nähe von Münster geborene und später in Köln lebende Bauingenieur lehnte aus seiner christlichen Überzeugung den Nationalsozialismus ab. Am 9.10.1944 wurde er hingerichtet.

INFO: "Saerbeck/Münster/Köln (pbm/gun). Bevor Maria Zienow Platz nehmen kann, schiebt ihr die Nachbarin schnell noch ein Kissen auf den Stuhl. So sitzt es sich für die 102-Jährige besser – und höher. „Mit meinen knapp 1,40 Metern war ich überall immer die Kleinste“, sagt Maria Zienow und lächelt eher verschmitzt als verzweifelt. Schließlich hat das Schicksal ihr einiges mehr abverlangt. Maria Zienows Leben erzählt Geschichte: Ihr Vater gehört zu den „stillen Helden“ im Nationalsozialismus – jenen Menschen, die sich dem Nazi-Regime widersetzten und dabei ihr Leben riskierten. 1891 in Saerbeck geboren, in der St.-Georg-Pfarrkirche katholisch getauft und in der Gartenstraße Münster mit einer Schwester und einem Bruder aufgewachsen, wurde Max Zienow 1944 wegen seiner christlichen Überzeugung in Berlin erhängt. Zum Gedenken an den Architekten, der in leitender Funktion bei der Stadt beschäftigt war, wurde in Köln, dem Lebensmittelpunkt der Familie, 2019 ein Stolperstein verlegt.

Fast 80 Jahre sind seit der Ermordung des Vaters vergangen. Doch die Erinnerungen der Tochter sind kaum verblasst. „Er war ein selbstbewusster Mann“, beschreibt ihn Maria Zienow und ihre Stimme klingt stolz. Tolerant sei er gewesen und habe nie jemanden überfordert. Max Zienow wollte, dass seine Tochter Kinderärztin wird. Sie aber wollte lieber als Kindergärtnerin arbeiten. Er willigte ein. Sie verließ das Gymnasium nach dem „Einjährigen“, dem Realschulabschluss. Die nationalsozialistischen Tendenzen gefielen dem politisch interessierten Max Zienow, der sozialdemokratisch wählte, schon vor 1933 nicht. Sein Glaube und die NS-Weltanschauung passten für den bekennenden Katholiken und Kirchgänger nicht zusammen. Das sagte er auch öffentlich - trotz wiederholter Warnungen: „Eine Kollegin, die es gut mit ihm meinte, bat ihn, vorsichtiger zu sein.“ Doch Vater Max zeigte keine Angst. Diesen Mut bewundert seine Tochter noch heute.

Die Zienows pflegten einen engen Kontakt zu jüdischen Freunden und Nachbarn. Daran hielten sie auch fest, als der Umgang untersagt wurde. „Wir haben uns gegenseitig eingeladen“, denkt Maria Zienow gerne an das Spielen mit den anderen Kindern zurück. Wer Max Zienow angeschwärzt hat, weiß Tochter Maria bis heute nicht. Vielleicht der Handwerker, dem der Vater als Verantwortlicher einen städtischen Auftrag nicht erteilt hatte…? Oder jemand, dem das gute Verhältnis der Zienows zu den Juden missfiel…? Eine Antwort auf diese Fragen kann es nicht mehr geben.

Am Nikolaustag 1943 stand ein NS-Trupp vor der Haustür der Familie in der Kölner Virchowstraße. Die Männer drangen in die Wohnung ein, rissen Schränke auf, durchsuchten die Zimmer. „Sie haben aber kein belastendes Material gefunden“, erfuhren Mutter Berta und Tochter später. Trotzdem nahmen die Nationalsozialisten den Vater mit, verhörten ihn in der Untersuchungsanstalt Klingelpütz. „Meine Mutter und ich haben ihn dort besucht.“ Als er von dort ins Zuchthaus nach Siegburg und 1944 zur Verhandlung nach Berlin gebracht wurde, wollte Berta Zienow nicht, dass die Tochter mitfuhr: „Sie hat mich geschützt aus Sorge, dass ich in Sippenhaft genommen werde.“

Zur Verhandlung des Vaters reiste Mutter Zienow mit einer Bekannten. Der Richter am Volksgerichtshof verurteilte Max Zienow wegen Volksverhetzung zum Tod durch Erhängen. Die Begründung hat die Tochter nie vergessen: „Eine deutsche Kugel sei zu schade für ihn – so hieß es.“ Der Schock über das Urteil sei groß gewesen, die Mutter verzweifelt. Monate später, nachdem sich durch das fehlgeschlagene Attentat vom 20. Juli auf Adolf Hitler die Lage verschärft hatte, wurde Zienow am 9. Oktober 1944 umgebracht. Im Alter von 53 Jahren. Lange haderte Maria Zienow mit dem, was die Nazis ihrem Vater vorgeworfen hatten: „Volksverhetzung ist ein hässliches Wort.“

Der Alltag für die zurückgebliebene Familie war beschwerlich, auch nach dem Ende des Krieges: „Meine Mutter wollte keine Entschädigungszahlung.“ Maria Zienow und ihre erwachsene Tochter lebten auf engstem Raum in einer Dachkammer in Köln. Jahre später kauften sie sich eine kleine Wohnung, in der Maria Zienow heute noch zu Hause ist. Die zierliche, alte Dame spricht leise und höflich. Sie möchte niemandem ihre Familienvergangenheit aufdrängen, aber mahnen möchte sie. Die Geschichte dürfe sich nicht wiederholen. Ihr Vater sei nicht im Widerstand organisiert gewesen, er habe keiner Gruppe angehört. „Dafür war er nicht der Typ. Er hat aber getan, was er für richtig hielt“, sagt Maria Zienow. Und wieder klingt sie stolz. Für seine Tochter ist er ein Held, für die Gesellschaft auch. Seine Asche wurde auf dem Ehrenfriedhof in Köln-Weiden beigesetzt."

Am 26. September 2019 wurde am Haus in der Kölner Virchowstr. 1-3 ein Stolperstein für Max Zienow verlegt. Mehr: Quelle: Biographie Max Zienow von Helmut Moll auf www.st-stephan-koeln.de, Download: Biographie von Max Zienow (Prälat Helmut Moll), Rheinische Biografien

Montag, 09.10.2023