Advent: Von Vietnam nach Essen

von Christof Beckmann

Montag, 09.12.2019

Mai Do, Vorstandmitglied der Vietnamesischen katholischen Gemeinde in Essen, Foto: Niklas Buhr
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Mai Do, Vorstandmitglied der Vietnamesischen katholischen Gemeinde in Essen, Foto: Niklas Buhr

Viele ihrer Eltern wurden aus dem Chinesischen Meer gerettet: Wie leben die vietnamesischen Gemeinden heute ihren Glauben, wie sieht es zu Hause aus und wie begehen sie den Advent?

INFO: Nach dem Vietnamkrieg versuchten 1,6 Millionen Menschen über das Südchinesische Meer ins Ausland zu fliehen. Dabei fanden 250.000 Vietnamesen wegen untauglicher Boote, Piratenangriffen, Monsun-Stürmen, Hunger und Wasserknappheit den Tod. Rupert und Christel Neudeck und einige ihrer Freunde, darunter der Schriftsteller Heinrich Böll, charterten den 118 Meter langen Hamburger Frachter Cap Anamur und bauten ihn zu einem Hospitalschiff um. Bei einer nationalen Spendenaktion gingen mehr als 1,2 Millionen Mark ein. Vor 40 Jahren, am 09.08.1979, legte das Schiff zu einer Rettungsmission mit freiwilligen Helfern und Technikern im vom japanischen Hafen in Kobe ab, kam am 13. August 1979 im Südchinesischen Meer an, rettete bis 1982 9.500 Flüchtlinge, versorgte über 35.000 medizinisch an Bord und holte in den weiteren Jahren mehr als 11.300 vietnamesische Flüchtlinge aus dem Wasser. Schon damals lösten die Aktionen eine bundesweite Debatte über Flüchtlingshilfe aus. Heute organisiert der gemeinnützige Verein „Cap Anamur/Deutsche Not-Ärzte“ keine Bootsrettungen mehr, sondern leistet medizinische und humanitäre Hilfe und engagiert er sich für Bildung und Entwicklung. In über 60 Ländern wurden inzwischen 25 Millionen Patienten behandelt, acht Millionen Kinder geimpft und unzählige Leben gerettet. Unter dem Motto „40 Jahre Cap Anamur – 40 Jahre Leben retten“ feierten sie am 31. August 2019 ihr Jubiläum in Köln.Kontakt: Cap Anamur / Deutsche Not-Ärzte e.V., Office Cap Anamur, Bernd Göken, Geschäftsführung / Projektkoordination, Thebäerstraße 30, 50823 Köln, Tel. 0221 / 9 13 81 50, Fax 0221 / 9 13 81 59, E-Mail: office@cap-anamur.org, Internet: https://www.cap-anamur.org

Die Vietnamesische Katholische Gemeinde in Essen steht unter dem Patronat des Hl. Michael, auch das Fest Maria Immaculata am 8. Dezember wurde besonders gefeiert. Die katholischen Christen aus Vietnam – die Zahl nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge wird insgesamt auf 125.000 Menschen vietnamesischer Abstammung geschätzt - gründeten eigene muttersprachliche Gemeinden, wie 1986 in Essen. Ihr gehört auch Mai Do an. Die 44-jährige Mutter von drei Kindern gehört dem Vorstand an. Ihr Vater und ihr älterer Bruder wurden von der Cap Anamur als Boat People aus dem Chinesischen Meer gefischt. Sie selbst konnte mit der Mutter und den beiden jüngeren Brüdern im Rahmen einer Familienzusammenführung nachkommen. Wie viele Deutsche vietnamesischer Abstammung verfolgen sie auch in Essen die Situation in ihrer Heimat: Denn dort ist die freie Religionsausübung sehr eingeschränkt. Kontakt: Pater Franz Nguyen SAC, Tel. 0208 / 9 98 05-14, Fax 0208 / 9 98 05-18 , E-Mail: franznguyensac@songdao.de, Vietnamesische Gemeinde (Mülheim): Steigerweg 1, 45473 Mülheim, Gehört zur Pfarrei St. Barbara, Tel. 0208 / 9 98 05-14, Fax 0208 / 9 98 05-18, Internet: www.songdao.de

Christen in Vietnam: Die seit 1533 durch Missionare aus Portugal, Spanien und Frankreich gegründete Katholische Kirche in Vietnam, zu der ca. 5 Prozent der Bevölkerung gehören, wird in der rund 80 Millionen Einwohner zählenden Sozialistischen Republik von der kommunistischen Regierung stark kontrolliert. Bereits im 19. Jahrhundert hatte es eine extreme Christenverfolgung gegeben und auch nach den Jahren der französischen Kolonialherrschaft (1887-1954) galten die Katholiken der 1930 von HoChi Minh gegründeten revolutionären Bewegung als Kollaborateure. Nach der Niederlage der Franzosen flohen etwa 800.000 Katholiken aus dem Norden nach Südvietnam, oft ganze Gemeinden, die Kirche wurde weitgehend enteignet.

Beide Landesteile wurden nach dem zweiten Vietnamkrieg 1975 unter kommunistischem Vorzeichen vereinigt. Zwischen1975 und 1982 sollen mehr als 60.000 Menschen exekutiert worden sein, der Staat unterdrückte jedes kirchliche Leben und Gläubige füllten die „Umerziehungslager“. Auch im Süden wurden der Kirche nun alle Schulen und sozialen Einrichtungen genommen, der Grundbesitz enteignet, ausländische Missionare hatten das Land zu verlassen, Hunderte von Priestern wurden inhaftiert, Priesterseminare und Klöster geschlossen. Nach dem Zerfall des Ostblocks und in der wachsenden wirtschaftlichen Misere kam in den 90er Jahre eine Lockerung des Drucks durch die vietnamesische Führung: Offen antireligiöses Vorgehen wurde vermieden und die katholische Gemeinschaft Vietnams sah sich auch nach in den langen Jahren der Verfolgung nicht geschwächt. Die Kirchen waren voll und es gab eine sehr große Zahl von Priester- und Ordensberufungen.

Gleichwohl sieht sich die Kirche wie alle Religionsgemeinschaften in Vietnam massiven Repressionen und Kontrollen ausgesetzt: Frei ist nur der Besuch eines bestimmten Gottesdienstes in einer bestimmten Gemeinde, jede Predigt muss der Zensur vorgelegt werden und nur sechs Priesterseminare sind erlaubt. Die Zahl der Priesterweihen wird reglementiert und jeder Kandidat mehrfach auf seine „Staatstreue“ überprüft. Alle kirchlichen Aktivitäten bedürfen einer Genehmigung, Kindergärten, Grundschulen oder Häuser für Straßenkinder können nur abhängig vom guten Willen der jeweiligen örtlichen Behörden betrieben werden. Proteste und Zuwiderhandlungen werden mit Gefängnisstrafen und Folter belegt, Familien in Sippenhaft genommen. Dagegen wenden sich die Auslands-Vietnamesen mit Unterschriftensammlungen und versuchen auch durch andere Mittel, die Glaubensgeschwister in der Heimat zu unterstützen.

Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit: Auch die Katholische Kirche in Deutschland macht auf das Schicksal der Katholiken in Vietnam aufmerksam. Die 2003 gegründete Initiative „Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit“ will auf die Diskriminierung und Drangsalierung von Christen in verschiedenen Teilen der Welt aufmerksam machen und das Bewusstsein für Behinderung der freien Religionsausübung in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit verstärken. Die erste veröffentlichte Broschüre der Initiative in der Reihe „Arbeitshilfen“ galt der Situation in Vietnam. Seitdem wird jährlich eine Schwerpunktregion in den Blick genommen. Mit Solidaritätsreisen, durch Gespräche mit politisch Verantwortlichen, Besuche von Bischöfen aus bedrängten Ortskirchen und dem jährlichen „Gebetstag für verfolgte und bedrängte Christen“ am 26. Dezember soll das Thema wachgehalten werden. Mehr: „Ökumenischer Bericht zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“.

Montag, 09.12.2019