Anderer Meinung
Dienstag, 02.11.2021

Wie gehen wir mit unterschiedlichen Meinungen um
Freitagabend. 22.00 Uhr. Das Handy von Pfarrer Carsten Griese klingelt. Der Mann am anderen Ende der Leitung will mit einem Seelsorger sprechen. Seinen Namen nennt er nicht:
Ich frage ihn, was ihn beschäftigt und was er von mir möchte. „Die Pandemie.“, sagt er. „Die Pandemie belastet mich.“
Er möchte von mir wissen, wie die Kirche zum Masken tragen stehe und warum Jesus ohne Maske zu Kranken und Aussätzigen gegangen ist. Ich stutze. Als ich ihm sage, dass ich Maske tragen sinnvoll finde und es für richtig halte, zum Schutz für andere diese Regel zu beachten, wird er ärgerlich.
Er schreit „Du Assi“ ins Telefon und legt auf. Was Jesus wohl bei solch einem Verhalten empfohlen hätte, denke ich und lege das Handy aus der Hand. Das Telefonat beschäftigt mich noch.
Im vergangenen Jahr konnte ich einen zunehmend gnadenlosen Umgang miteinander beobachten. Das Gespräch mit Menschen, die anderer Meinung sind, wird abgebrochen, mit Beleidigungen ist man schnell bei der Hand. Es scheint immer schwieriger zu werden, abweichende Meinungen auszuhalten und weiter miteinander zu sprechen.
Was anonym an Drohungen und Beleidigungen in sozialen Netzwerken gegenüber Menschen in der Öffentlichkeit geäußert wird, ist unerträglich. Und zudem noch feige.
Ich habe mit vielen Menschen, die, wie ich in der Kirche engagiert sind, immer wieder heftig gestritten: über Atomkraft, die Flüchtlingspolitik und andere gesellschaftspolitische Fragen.
Für mich war immer klar: der andere ist als Mensch zu respektieren, auch wenn er eine andere Meinung vertritt. Und manchmal habe ich beim Streiten gemerkt: auch der andere hat Argumente, die ihre Berechtigung haben und mir helfen können, meine Meinung zu prüfen, ohne diese gleich aufzugeben.
Diesen Umgang miteinander brauchen wir jetzt dringender denn je.