Der 9. November

von Christof Beckmann

Dienstag, 09.11.2021

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Am 9. November: Angriff auf die jüdischen Synagogen 1938, Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann 1918, oben rechts: Robert Blum, Gemälde von August Hunger um 1845, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

In 13 deutschen Städten wird heute der Glanz des alten jüdischen Lebens in Deutschland wieder lebendig: Videoprojektionen zeigen u.a in Köln, Dortmund und Paderborn Synagogen, die am 9. November 1938 vom organisierten Nazi-Mob angegriffen wurden. ...

INFO: Der 9. November hat eine besondere Bedeutung in der deutschen Geschichte: Er markiert mit dem Waffenstillstand von Compiègne das Ende des 1. Weltkriegs 1918 und die Ausrufung der Republik am 9.11.1918 durch Philipp Scheidemann. Am 9.11.1923 scheiterte der Hitler-Ludendorff-Putsch in München, am Vorabend des 9. November 1939 der geplante Bombenanschlag des Handwerkers Georg Elser auf Hitler. 50 Jahre später, am 9. November 1989, fiel die deutsch-deutsche Grenze mit ihrer Mauer.
Verschwunden aus der Gedenkkultur ist der 9. November 1848 mit der standrechtlichen Erschießung des aus Köln stammenden Politikers, Publizisten, Verlegers und Dichters Robert Blum: Die Hinrichtung des republikanischen Parlamentsabgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung war eine offene Kampfansage der Vertreter der Monarchie gegen das aus der bürgerlichen Märzrevolution hervorgegangene erste demokratisch gewählte gesamtdeutsche Parlament. Mehr zu Robert Blum im Internetportal Rheinische Geschichte: Hermann Josef Scheidgen (Köln), Robert Blum, Revolutionär (1807-1848); Vorstellung der Robert-Blum-Briefmarke in Schloss Bellevue, 2. November 2021, Einweihung des Robert-Blum-Saals mit Kunst zur deutschen Demokratiegeschichte in Schloss Bellevue, 9. November 2020

Reichspogromnacht 1938: Zugleich aber schaut man an diesem Tag auch in einen der tiefsten Abgründe der deutschen Geschichte: Am 9.11.1938 durchlitten die deutschen Juden die „Reichspogromnacht“, der zum Beginn des Holocaust wurde. Die vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Aktion, die spöttisch als „Reichskristallnacht“ bezeichnet wurde, führte nicht nur zur Zerstörung von Einrichtungen jüdischer Bürger im gesamten Deutschen Reich. So berichtete etwa die Rheinische Landeszeitung am 10. November 1938 von einer „ungeheuren Empörung der Düsseldorfer Volksgenossen“: In den Abendstunden sei es „zu spontanen Demonstrationen gegen die Juden“ gekommen, log die Parteizeitung der Nationalsozialisten. Mit „berechtigter Wut des Volkes“, hieß es, und in den Geschäften sei „radikal aufgeräumt worden“. In der gestürmten und verwüsteten Synagoge sei dann „durch einen Kurzschluss ein Brand entstanden“. Das jüdische Gebetshaus brannte – wie über 1.400 andere in ganz Deutschland vollständig aus, Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Jüdische Deutsche wurden geprügelt, verhaftet und ermordet, Zehntausende wurden deportiert und seit dieser Nacht vor 80 Jahren systematisch verfolgt und ermordet. Nach den Novemberpogromen bürdete die Reichsregierung den Juden eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark auf und leitete ihre vollständige Ausschaltung aus dem deutschen Wirtschaftsleben, die Schließung aller jüdischen Geschäfts- und Handwerksbetriebe und den Ausschluss der jüdischen Kinder von öffentlichen Schulen in die Wege. Die Novemberpogrome endeten im Holocaust - der Deportation und Vernichtung von mehr als sechs Millionen Juden in Konzentrationslagern.

Gedenken zum 9. November in Berlin: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedenkt am 9. November der besonderen Ereignisse in der deutschen Geschichte mit einer eigenen Veranstaltung im Schloss Bellevue. An der Veranstaltung unter dem Titel „1918 - 1938 - 1989: Gedenken zum 9. November“ nehmen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Bundestagspräsidentin Bärbel Bas, Bundesratspräsident Reiner Haseloff und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, teil. Zu den Gästen zählen zudem Vertreter der Zivilgesellschaft und der Religionsgemeinschaften. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen stehe der 9. November für drei einschneidende Daten, so das Bundespräsidialamt: Als Tag der Pogrome von 1938 für die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus, zugleich als Jahrestag der Ausrufung der Republik 1918 und des Mauerfalls 1989 für den mutigen Kampf für Freiheit und Demokratie. Drei Rednerinnen und Redner werden darauf persönliche Schlaglichter werfen: Das Jahr 1918 greift die jüngste Abgeordnete des 20. Deutschen Bundestages Emilia Fester (Grüne) auf, die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer schaut auf 1938 und der Bürgerrechtler und ehemalige Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn auf das Jahr 1989. -> Veranstaltung „1918 – 1938 – 1989: Gedenken zum 9. November“ in Schloss Bellevue am 9. November 2021

Digital rekonstruierte Synagogen zum 9. November: Zum 83. Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 werden in der Nacht vom 9. auf 10. November 18 von den Nationalsozialisten zerstörte oder schwer beschädigte Synagogen in Deutschland und Österreich digital rekonstruiert an ihren historischen Standorten auf die heutigen Gebäude oder auf Leinwände projiziert. Schirmherrin der gemeinsamen Aktion des WJC und des Zentralrats der Juden in Deutschland ist Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), für Österreich die dortige Justizministerin Alma Zadic. Die historischen Gebäude wurden von Experten der TU Darmstadt und der TU Wien digital rekonstruiert. Die Aktion versteht sich als Teil der #WeRemeber-Kampagne des Jüdischen Weltkongresses, die auf den internationalen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar hinführt.

Neben fünf Standorten in Österreich sind in 13 deutschen Städten Videoprojektionen zu sehen, zum Teil mit einer erweiterten Präsentation über eine Virtual-Reality-Brille:

Berlin: Synagoge in der Fasanenstraße; Hamburg: Synagoge am Bornplatz; München: Synagoge in der Herzog-Max-Straße; Frankfurt/Main: Synagoge in der Friedberger Anlage; Köln: Synagoge in der Glockengasse; Hannover: Synagoge Rote Reihe 6; Dortmund: Synagoge am Hiltropwall; Darmstadt: Synagoge in der Bleichstraße/Ecke Grafenstraße; Kaiserslautern: Synagoge in der Luisenstraße; Paderborn: Synagoge Am Bußdorf; Minden: Synagoge in der Kampstraße; Bamberg: Synagoge in der Herzog-Max-Straße; Plauen: Senefelder Straße/Engelstraße). Auch die frühere Synagoge in Siegen wird zum Gedenken an die Novemberpogrome virtuell rekonstruiert: Bilder des Bethauses werden am Abend des 9. November auf die Außenwand des Aktiven Museums Südwestfalen, eines ehemaligen Luftschutzbunkers, projiziert. Die siebenminütige Video- und Klanginstallation wurde von der Multimedia-Künstlerin Gabriela von Seltmann mit einem internationalen Team erstellt. Anlass für das Projekt ist das aktuelle Festjahr „1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Termin: 9. November, ca. 18-21.30 Uhr, Obergraben 10, 57072 Siegen. Mehr: https://synagoge-siegen.de/de.

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