Aus der Ukraine nach NRW

von Christof Beckmann

Montag, 28.03.2022

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Sie kommen mit kleinem Gepäck und mit vielen Kindern. Welche Hoffnungen haben sie, was bewegt sie in diesen Tagen, was haben sie durchgemacht und was wollen sie uns sagen? Nachgefragt an der Meldestelle für ukrainische Kriegsflüchtlinge in Essen ...

INFO: Marina (43) kam mit Sohn (20), Tochter (13), Schwiegermutter und zwei Hunden vor knapp zwei Wochen aus Irpin, rund 30 km entfernt von Kiew, bekannt durch den Flughafen Hostomel, einem stark umkämpften Gebiet. Mit ihren Eltern, erzählte sie uns, habe sie nur alle drei Tage Kontakt. Sie blieben dort, wollten das Haus nicht verlassen. Plündernde russische Besatzungstruppen brächen derzeit dort in die Häuser ein, raubten selbst Kleidung und alles, was wertvoll ist: „Sie fahren mit großen Wagen vor und schicken alles als Trophäe nach Hause“, so Marina. Für die Menschen fehle es an allem, Strom gäbe es im Umkreis von 20 Kilometern nicht mehr, die letzten Bewohner harrten seit ohne Wasser in ihren Kellern aus. Die russischen Soldaten, ihrer Beobachtung nach mit Essensrationen aus dem Jahr 2015 in den Krieg geschickt, sollen sich aus dem Land selbst ernähren, seien hungrig und aggressiv, bedrohten jeden mit der Waffe und nähmen sich, was sie wollen, sagt sie. Selbst als sie Wasser aus dem See holen wollte, wurde sie zurückgejagt.

Vor dem Krieg war für sie alles gut: Sie lebten auf dem Land, hatten ein eigenes Haus und Auto, sie liebt Pferde und Tiere, ihre Kinder sprechen drei Sprachen. Noch vor wenigen Jahren hatte in der Region ein ungeheurer Aufschwung begonnen, viel war neu gebaut und große Parks seien angelegt worden. Bis sich die Welt mit einem Schlag änderte: „Dann fliegen um 5 Uhr morgens plötzlich fünf Flugzeuge über dein Haus und bombardieren den nahegelegenen großen Flughafen. Das ist alles schwer zu verstehen.“ Straßen, Supermärkte, Krankenhäuser wurden zerstört, Schulen und vieles mehr. Marina versuchte stark zu sein, zu tun, was nötig ist, hielt aus, bis es nicht mehr ging. Dann packte sie Kinder und Schwiegermutter in den Wagen. Doch eine Woche nach ihrer Flucht brach sie ein, hatte einen Nervenzusammenbruch, weinte ununterbrochen, wollte nichts mehr essen – allein bei der Vorstellung, dass sich jetzt wildfremde Leute über ihr Haus hermachen. „Das ist ein Albtraum“, sagt sie: „Wenn jemand plötzlich auftritt und dir verbietet, so in deinem Land zu leben, wie du willst.“ Sie selbst sei in Sowjetzeiten geboren, erinnere sich noch gut, wie das damals war. „Alles was ich will ist, Frieden“, sagt sie heute. „Jeder will das. Und wir alle lernen, was es heißt, in einer Demokratie zu leben. Frei, verantwortungsvoll. Miteinander. Und das zu verteidigen. Aber: Ihr solltet das wissen.“

Ukraine-Flüchtlinge in Essen: Am 21. März meldete sich Marina mit ihrer Familie in Essen in der zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge aus der Ukraine an. Sie war eine Woche zuvor im Bürgeramt des größten Essener Stadtbezirks Borbeck eingerichtet worden. Weit mehr als 3.000 sind inzwischen in der Stadt gemeldet, rund 1.200 von ihnen sind Kinder (Stand: 22. März). Die meisten kamen bei Freunden und Verwandten unter, 363 sind in städtischen Einrichtungen untergebracht, 317 in Landeseinrichtungen, 171 wurden kurzfristig in Hotels untergebracht. Die Borbecker Bezirksbürgermeisterin Margarete Roderig kümmerte sich sofort für Unterstützung bei der Anmeldung: Um die bis zu fünf Stunden dauernde Wartezeit erträglicher zu machen, half der ganze Stadtteil mit. Sie sorgten für Getränke, Spiele, große Kaffeestation, Süßigkeiten, Obst, für Malbücher, Lego und Bastelsachen. Vereine, Gemeinden halfen mit, der Sozialdienst katholischer Frauen Borbeck (SKF) stellte Einkaufs-Gutscheine.

Termine zur Registrierung nach § 24 als Kriegsflüchtling können unter der Rufnummer 0201 88-35 555 vereinbart werden. Eine Vorsprache ohne Termin ist nicht möglich. Als Dienstleistungen erfolgt dort die Anmeldung in Essen, mit der die Betroffenen beispielsweise ein Konto eröffnen können. Auch die Aufenthaltserlaubnis wird in diesem Zuge erteilt. Da der Aufenthaltstitel selbst von der Bundesdruckerei erstellt werden muss und mit einer entsprechenden Wartezeit zu rechnen ist, erhalten die Betroffenen eine Fiktionsbescheinigung. Damit ist beispielsweise die Aufnahme einer Beschäftigung möglich. Familien können gemeinsam einen Termin wahrnehmen, hier ist vorab die Personenanzahl anzugeben. Dolmetscher*innen werden vor Ort im Einsatz sein. In städtischen Gebäuden gilt weiterhin die 3G-Regel und eine Maskenpflicht. Eine Möglichkeit für Coronatests vor Ort wird eingerichtet. Weitere Informationen zu Hilfsangeboten der Stadt Essen für Menschen aus der Ukraine unter www.essen.de/ukraine.

Ukraine und Kirche: Hier Stellungnahmen der Deutschen Bischofskonferenz, weiterführende Informationen und Links: https://www.dbk.de/themen/krieg-in-der-ukraine#c7033

Montag, 28.03.2022