Moderne Sklaverei

von Stefan Klinkhammer

Donnerstag, 14.10.2021

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Pfarrer Peter Kossen, Foto: Bischöfliche Pressestelle Münster/Gudrun Niewöhner

Sklaverei in Deutschland? Fast 170.000 sind Opfer des Menschenhandels, sagen die Malteser in ihrem dritten Migrationsbericht. Vor dem Europäischen Tag gegen Menschenhandel ein Blick auf dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit weltweit ...

INFO: 2007 führte die Europäischen Kommission den Europäischen Tag gegen Menschenhandel ein. Nicht von ungefähr: In ihrem aktuellen dritten Migrationsbericht fordern die Malteser mehr Einsatz gegen Menschenhandel auch in Deutschland. „Menschenhandel ist und bleibt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, erklärt der Botschafter des Malteserordens gegen Menschenhandel, Michel Veuthey, in der in Köln vorgestellten Analyse. „Lassen Sie uns diese moderne Sklaverei gemeinsam beenden.“ Es brauche klare Bestimmungen, die auch durchgesetzt werden müssten. Unter anderem sollten Strafverfolger und Behördenmitarbeiter besser geschult werden. Für die Opfer müsse es gesicherten Zugang zur Justiz geben.

Dem Bericht zufolge gehen Experten davon aus, dass 2018 rund 167.000 Menschen in Deutschland in moderner Sklaverei lebten. Das Bundeskriminalamt habe für das Jahr 2019 insgesamt 423 abgeschlossene polizeiliche Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit Menschenhandel registriert.

Die Zahl sei im Vergleich zu 2018 zwar rückläufig; die Autoren des Berichts gehen jedoch von einem „beträchtlichen“ Dunkelfeld aus. In rund zwei Drittel der Fälle (287) ging es der Untersuchung zufolge um Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung. Diese Zahl sei ebenfalls rückläufig, was auch an der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes liege. Bordelle würden regelmäßiger überprüft, Verantwortliche sensibilisiert und Vergehen strikter geahndet. Illegale Prostitution habe sich daher in anonyme Bereiche wie Privatwohnungen verschoben, was die Ermittlungen erschwere. Die meisten Opfer von sexueller Ausbeutung waren laut Bericht Frauen (95 Prozent) und stammen aus dem Ausland (78 Prozent). Ein Viertel kam aus Asien, davon viele aus Thailand; 42 Prozent aus dem europäischen Ausland, davon die Mehrzahl aus Rumänien und Bulgarien; 9 Prozent aus Afrika. 22 Prozent stammen aus Deutschland. Dieser hohe Anteil lasse sich dadurch erklären, dass deutsche Opfer besser integriert seien und eher zur Polizei gingen.

Migranten sind der Analyse zufolge besonders gefährdet, Opfer von sexueller Ausbeutung oder auch von Arbeitsausbeutung zu werden. So behielten Täter unter anderem Reisepässe ein oder verlangten das Abarbeiten von Schulden für die Reise nach Deutschland. Opfer lebten in prekären Wohnungen, in denen es keinen Schutz vor Gewalt gebe. Manche vertrauten der Polizei nicht, hätten nur geringe Sprachkenntnisse oder sähen ihre Familie im Herkunftsland gefährdet. Die Malteser veröffentlichen alle zwei Jahre einen Migrationsbericht, der Daten zum Thema zusammenfasst. „Fakten sollen die Politik leiten, keine Stimmungslage“, so die Hilfsorganisation. Die Analyse erstellte das Walter Eucken-Institut aus Freiburg. Internet - [Migrationsbericht 2021] (https://www.malteser.de/migrationsbericht)

Unser Gesprächspartner: Seit den Corona-Ausbrüchen in Schlachtbetrieben wurde verstärkt wahrgenommen, was Peter Kossen aus Lengerich im Bistum Münster seit Jahren immer wieder anprangert. Geboren im Dezember 1968 in Wildeshausen, kennt er auch aus Vechta die menschenunwürdigen Zustände in Teilen der Fleischindustrie. Seit Jahren setzt sich der seit langem ehrenamtlich in der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) engagierte Pfarrer der Pfarrei Seliger Niels Stensen in Lengerich für Gerechtigkeit in der Arbeitswelt, besonders in der Fleischindustrie ein. 2010 wurde er Präses des Bezirksverbandes Kleve der KAB und engagierte sich aktiv für Mindestlöhne, ein bedingungsloses Grundeinkommen und gegen Leiharbeit und Werkverträge. 2019 gründete Kossen den Verein „Aktion Würde und Gerechtigkeit“ mit einem eigenen Beratungsbüro für sogenannte Arbeitsmigranten. Dass das System der Werkverträge, der Dumpinglöhne und des Mietwuchers in dieser Branche öffentlich wahrgenommen und Schritt für Schritt abgeschafft wird, ist auch das Verdienst von Monsignore Peter Kossen, der am 23. August 2021 mit dem Landesverdienstorden von NRW ausgezeichnet wurde.

„Wenn man große Probleme angehen will, muss man global denken und handeln“, betont der katholische Priester im Gespräch mit Redakteurin Ann-Christin Ladermann in „kannste glauben“, dem Podcast des Bistums Münster. Darin erklärt Kossen: „Was die Arbeitsverhältnisse hier betrifft, hat Deutschland in den letzten Jahren leider zugelassen, dass es Billiglohnland geworden ist. Wenn man jetzt versucht, das wieder zu regulieren, dann darf nicht aus dem Blick geraten, dass es Wirtschaftsräume und Arbeitsbedingungen in der Welt gibt, die man in gleicher Weise regulieren muss.“ In dem halbstündigen Podcast-Format des Bistums Münster äußert der Pfarrer den Wunsch, dass sich die katholische Kirche mehr für Gerechtigkeit in der Arbeitswelt einsetzt. Katholische und evangelische Verantwortliche sollen sich zusammenschließen, um deutlich Veränderungen in den Arbeitsbranchen einzufordern, so seine Forderung. „Ich habe den Eindruck, dass wir das nicht gut können als Kirche, weil wir Sorge haben, dass wir Menschen auf die Füße treten, die möglicherweise hohe Kirchensteuern zahlen und Meinungsmacher vor Ort sind.“ Auch wünscht sich Kossen von Seiten der Kirche klarere Vorgaben zum Einkauf und eine damit verbundene Achtsamkeit für Arbeitsverhältnisse. „Wir sind als Kirche große Marktteilnehmer in Deutschland und wenn wir nach bestimmten Kriterien einkaufen oder auch Land verpachten würden, das würde den Markt revolutionieren. Da fehlt mir manchmal der Mut dazu, dies wirklich zu versuchen.“ Die Episode des Bistums-Podcast „kannste glauben“ mit Pfarrer Peter Kossen ist über die Podcast-Homepage www.kannste-glauben.de abrufbar. Zudem können alle Episoden der Reihe bei Spotify, podcaster.de, Deezer, Google Play und Itunes kostenfrei angehört und abonniert werden.

Donnerstag, 14.10.2021