Stolpersteine: Wachsam bleiben

von Christof Beckmann

Dienstag, 08.11.2022

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Stolpersteine, Foto: pixabay

Morgen wird der Reichspogromnacht 1938 gedacht. Für die Opfer, die der totalitäre Antisemitismus forderten, schuf Künstler Gunter Demnig ein riesiges weltweites Mahnmal: Der erste seiner Stolpersteine wurde im Dezember vor 30 Jahren verlegt …

INFO: Der 9. November hat eine besondere Bedeutung in der deutschen Geschichte: Er ist der Tag der standrechtlichen Erschießung des aus Köln stammenden republikanischen Parlamentsabgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung Robert Blum am 9. November 1848, er markiert mit dem Waffenstillstand von Compiègne das Ende des 1. Weltkriegs 1918 und die Ausrufung der Republik am 9.11.1918 durch Philipp Scheidemann. Am 9.11.1923 scheiterte der Hitler-Ludendorff-Putsch in München, am Vorabend des 9. November 1939 der geplante Bombenanschlag des Handwerkers Georg Elser auf Hitler. 50 Jahre später, am 9. November 1989, fiel die deutsch-deutsche Grenze mit ihrer Mauer.

Zugleich aber schaut man an diesem Tag vor allem in einen der tiefsten Abgründe der deutschen Geschichte: Am 9.11.1938 durchlitten die deutschen Juden die „Reichspogromnacht“, der zum Beginn des Holocaust wurde. Die vom nationalsozialistischen Regime organisierte und gelenkte Aktion, die spöttisch als „Reichskristallnacht“ bezeichnet wurde, führte nicht nur zur Zerstörung von Einrichtungen jüdischer Bürger im gesamten Deutschen Reich. So berichtete etwa die Rheinische Landeszeitung am 10. November 1938 von einer „ungeheuren Empörung der Düsseldorfer Volksgenossen“: In den Abendstunden sei es „zu spontanen Demonstrationen gegen die Juden“ gekommen, log die Parteizeitung der Nationalsozialisten. Mit „berechtigter Wut des Volkes“, hieß es, und in den Geschäften sei „radikal aufgeräumt worden“. In der gestürmten und verwüsteten Synagoge sei dann „durch einen Kurzschluss ein Brand entstanden“. Das jüdische Gebetshaus brannte – wie über 1.400 andere in ganz Deutschland vollständig aus, Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Jüdische Deutsche wurden geprügelt, verhaftet und ermordet, Zehntausende wurden deportiert und seit dieser Nacht vor 80 Jahren systematisch verfolgt und ermordet. Nach den Novemberpogromen bürdete die Reichsregierung den Juden eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark auf und leitete ihre vollständige Ausschaltung aus dem deutschen Wirtschaftsleben, die Schließung aller jüdischen Geschäfts- und Handwerksbetriebe und den Ausschluss der jüdischen Kinder von öffentlichen Schulen in die Wege. Die Novemberpogrome endeten im Holocaust - der Deportation und Vernichtung von mehr als sechs Millionen Juden in Konzentrationslagern.

Stolpersteine: In Erinnerung an die vielen Opfer des rassistischen nationalsozialistischen Terrors entsteht seit über 30 das inzwischen größte dezentrale Mahnmal der Welt. Sie tragen die Namen von NS-Opfern, von Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen, von Menschen mit Behinderung und politisch oder religiös Verfolgten. Oft sind sie vor deren letzter frei gewählter Wohnstätte verlegt. Mittlerweile gibt es sie in 31 Ländern, so in Österreich, Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Luxemburg, Litauen, den Niederlanden, Norwegen, Polen, Republik Moldau, Rumänien, Russland, Schweden, Schweiz, Serbien, der Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, der Ukraine und Ungarn, in Irland und Großbritannien. Seit 2017 gibt es zudem eine STOLPERSCHWELLE in Argentinien.

Der Künstler Gunter Demnig, 1947 in Berlin geboren, vollendet kürzlich seinen 75. Geburtstag und reist in dieser Mission durch ganz Europa und verlegt fast täglich immer noch den Großteil der fast 100.000 Steine selbst. Nach dem Abitur hatte er in seiner Heimatstadt zunächst Kunstpädagogik und Industrial Design an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste studiert. Ab 1970 ging er zum Studium der Kunstpädagogik an die Universität Kassel und trat mit zahlreichen Aktionen in die Öffentlichkeit. Seinen ersten Stolperstein verlegte er vor rund 30 Jahren ohne Genehmigung vor dem Rathaus in Köln, wo er jahrelang sein Atelier unterhielt. Seit 2015 werden die STOLPERSTEINE und seit 2017 auch die STOLPERSCHWELLEN von der gemeinnützigen „STIFTUNG – SPUREN – Gunter Demnig“ organisatorisch und operativ geführt.

Kontakt: Katja und Gunter Demnig, An der Leit 15, 36304 Alsfeld-Elbenrod, Mobil: +49 / 177 / 20 61 858, E-Mail: info@stolpersteine.eu. Alle Informationen, die Schritte zur Verlegung, zu Patenschaften, Kosten, Pflege, pädagogischer Begleitung, Ansprechpersonen und mehr finden sich auf der Webseite https://www.stolpersteine.eu/

Dienstag, 08.11.2022