20 Jahre Irakkrieg

von Johanna Risse

Dienstag, 14.03.2023

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Arbeitshilfen der Deutschen Bischofskonferenz, Collage: KIP

Am 20. März 2003 - vor 20 Jahren - begann die Bombardierung von Bagdad, das Regime Saddam Husseins war nach wenigen Wochen am Ende. Fünf Jahre nach dem Ende des „Islamischen Staates“ kehren nun auch ehemals vertriebene Christen in ihre Heimat zurück.

INFO: Angesichts der aktuellen Kriegsereignisse in Osteuropa ist es fast vergessen: Am 20. März 2003 begann die Bombardierung von Bagdad („Shock and Awe“), Bodentruppen der US-Streitkräfte und der „Koalition der Willigen“ stürzten das Regime Saddam Husseins. Bereits am 1. Mai 2003 erklärte der amerikanische Präsident George W. Bush die militärische Mission für beendet. 20 Jahre nach dem Sturz von Saddam Hussein und fünf Jahre nach dem Ende des „Islamischen Staates“ kehren ehemals vertriebene Christen in ihre Heimat im Irak zurück und schöpfen zwei Jahre nach dem historischen Besuch von Papst Franziskus neue Hoffnung.

Christen im Irak: Das Christentum ist in der Region des heutigen Irak lange verwurzelt. Die Kirche dort führt ihre Ursprünge zurück auf den Apostel Thomas und die Heiligen Thaddäus von Edessa und Mari, einen Schüler des Thaddäus. Die Mission verstärkte sich im 2. Jahrhundert von Antiochien und Edessa aus und trotz Verfolgungen entstanden bedeutende christliche Gelehrtenzentren, eine von Rom unabhängige eigene Kirche und im muslimischen Abbasidenreich vermittelten die Christen ab 750 die griechischen Wissenschaften. Zwar war Mission verboten, doch breitete sie sich erfolgreich von hier bis nach China aus. Mit dem Übertritt der Mongolen zum Islam schmolz die Kirche im 14. Jahrhundert wieder auf kleine Reste in Bergregionen zusammen, der Patriarch verlegte seine Residenz von Bagdad in die Region von Hakkari in der heutigen Türkei und um 1830 ging ein Teil der Apostolischen Kirche des Ostens eine Union mit Rom ein. Aus ihr entstand die chaldäische Kirche, heute die größte des Landes.

Durch Vertreibung, Flucht und Mord verloren viele Assyrer, Chaldäer und Armenier im Ersten Weltkrieg ihre Heimat und wurden von den irakischen Regierungen vielfach als Separatisten behandelt. Während der assyrische Patriarch den Irak verließ und seinen Sitz in die USA verlegte, folgten die Chaldäer dem arabischen Nationalismus und waren im Parlament vertreten. Im Zuge des Kurdenkonflikts ging der chaldäische Patriarchensitz von Mossul nach Bagdad, auch die meisten Christen folgten. Die von einem Christen gegründete Baath-Partei kam 1963 an der Macht und garantierte Religions- und Glaubensfreiheit im mehrheitlich schiitischen Irak. Dennoch gerieten die christlichen Denominationen immer wieder zwischen die Fronten: Nach dem Iran-Irak-Krieg, dem Schiitenaufstand im Süden und dem Kuwaitkrieg gingen viele Christen in eine von den Kurden autonom verwaltete Schutzzone im Norden. Dadurch reduzierte sich die Zahl der Christen in den beiden großen Städten Bagdad und Mossul deutlich, andere Gebiete wurden faktisch christenfrei. Auch türkische Vorstöße gegen die Kurden und innerkurdischen Auseinandersetzungen forderten viele Opfer und im Zuge einer verstärkten Islamisierung des Landes stieg der wirtschaftliche und soziale Druck auf die Christen. Es kam zu organisierter Kriminalität mit Entführungen und finanziellen Erpressungen, Minderheiten wurden durch Bombenanschläge und massive Bedrohung aus vielen Regionen verdrängt.

Heute ist ihre Lage und die anderer Minderheiten katastrophal. Von rund 1 Million Christen im Irak sank ihre Zahl in 20 Jahren auf ein Viertel. Viele flohen in die Nachbarländer, vor allem in den Libanon und in die Türkei, nach Europa, Nordamerika oder Australien. Trotz des militärischen Sieges über den „Islamische Staat“ (IS) sind seine Organisation und andere islamistische Bewegungen weiterhin eine massive Bedrohung für Christen und andere religiöse Minderheiten – daran hat die Zentralregierung bislang nichts geändert. Zwar fordern christliche Führer im Irak seit Jahren einen säkularen Staat, der - unabhängig von religiöser und ethnischer Identität - Gleichheit, Gerechtigkeit und Würde der Bürger garantiert. Doch die Verfassung sieht den Islam als Staatsreligion, die Regierung beschließt islamisch geprägte Gesetze, das daran ausgerichtete Bildungssystem prägt Staat und die Gesellschaft. Die konfessionellen Gräben zwischen Schiiten, Sunniten, Christen und Jesiden sind tief. Zudem sind die christlichen Gemeinschaften und ihre Organisationen stark zersplittert.

Papst Franziskus 2021 im Irak: Vom 5. bis zum 8. März 2021 ging Papst Franziskus auf eine der außergewöhnlichsten Papstreisen der Geschichte. Sein Besuch in der einst christlich geprägten Ninive-Ebene und in Erbil, dem Zufluchtsort für viele Vertriebene im Irak, war die erste Papstreise in das arabische Land überhaupt. In der vom Terrorregime des „Islamischen Staats“ zwischen 2014 und 2017 verwüsteten Region erklärte er vor rund zehntausend Gläubigen im Franso-Hariri-Stadion in Erbil: „Heute kann ich sehen und mit Händen greifen, dass die Kirche im Irak lebendig ist, dass Christus in diesem seinem heiligen gläubigen Volk lebt und am Werk ist.“ In den Ruinen von Ur in der Wüste des Südiraks, der Heimat Abrahams, brachte er Angehörige der verschiedensten Religionen zu einem „Gebet der Kinder Abrahams“ zusammen, beschwor die „Geschwisterlichkeit aller Menschen“, für die er in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“ warb und stellte sich hinter Forderungen der Bürger nach einem grundlegenden Kurswechsel.

Die obigen Infos und mehr nach Prof. Dr. Harald Suermann, Direktor des Missionswissenschaftlichen Instituts missio e.V. in Aachen und apl. Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn, in: Verfolgte Christen · Irak, hg. Deutsche Bischofskonferenz, Arbeitshilfen 272, Bonn 2017, Herausgeber: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz Kaiserstraße 161, 53113 Bonn; „Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit – Nach der Herrschaft des „Islamischen Staats“: Syrien und Irak“ (Arbeitshilfen Nr. 318). Zum Download: Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit: Nach der Herrschaft des „Islamischen Staats“: Syrien und Irak. Eine Initiative der Deutschen Bischofskonferenz. Arbeitshilfen Nr. 318 (Bonn 2020)

Unser Gesprächspartner: Matthias Kopp, Jahrgang 1968, stammt aus Velbert und lebt in Köln. Nach dem Abitur studierte er Theologie und Christliche Archäologie in Bonn, Freiburg und Rom und schloss sein Studium als Diplomtheologe und Lizentiat in christlicher Archäologie ab. Er war 1993-1997 tätig für Radio Vatikan, 1997-2002 Referent für Presse- und Verlagswesen im Bereich Kirche und Gesellschaft der Deutschen Bischofskonferenz (DBK, vormals Zentralstelle Medien) und Geschäftsführer des Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreises, 2003-2005 Pressesprecher und Leiter „Kommunikation” des Weltjugendtages (WJT) Köln, 2006-2008 Sprecher der Staatskanzlei Nordrheinwestfalen (Düsseldorf) und ist seit 2009 Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz (DBK).

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