Iraks Christliches Erbe
Dienstag, 11.03.2025

Buchcover HERDER, Collage KIP
Heute Mittag geht es bei der Tagung der Deutschen Bischöfe um ein weithin verdrängtes Thema: Wo sind eigentlich die Millionen Christen zwischen Damaskus und Bagdad geblieben? Matthias Kopp, Sprecher der Bischofskonferenz, ist gerade aus dem Irak zurück.
INFO: Die derzeit in Kloster Steinfeld tagende Frühjahrsvollversammlung widmet heute der Situation der Christen in Nahost einen Schwerpunkt. Um 13.00 Uhr steht ein Pressegespräch unter dem Titel „Zwischen Angst und Hoffnung: Zur Lage der Christen zwischen Damaskus und Bagdad“. Dazu berichtet Erzbischof Jacques Mourad, seit 2023 der syrisch-katholische Erzbischof von Homs (Syrien)von Homs, der 2015 als Pfarrer in Qaryatayn von Dschihadisten aus dem syrischen Kloster Mar Elian entführt und fünf Monate lang gefangen gehalten wurde. Mit ihm informieren Erzbischof Dr. Udo Markus Bentz (Erzbistum Paderborn), Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, und Bischof Dr. Bertram Meier (Augsburg), Vorsitzender der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, über die Situation der Christen in Syrien, aber auch in den Nachbarstaaten beleuchtet und das Engagement der christlichen Kirchen. Das Pressegespräch wird im Livestream von http://www.katholisch.de/ angeboten und ist auch unter www.dbk.de und auf dem YouTube-Kanal der Deutschen Bischofskonferenz verfügbar.
Christen im Irak: Der Irak zählt zu den ältesten Siedlungsgebieten des Christentums, dessen Ursprünge im Zweistromland bis auf den heiligen Apostel Thomas zurückgeführt werden. Im irakischen Kernland stellten Christen vor der islamischen Eroberung im 7. Jahrhundert die Bevölkerungsmehrheit. Ihr Anteil nahm danach immer weiter ab. Trotzdem genossen die Christen unter dem Regime von Saddam Hussein vergleichsweise große Freiheiten. Die größte Gruppe unter den zahlreichen Konfessionen bildeten die mit Rom unierten Kirchen, darunter die katholischen Chaldäer mit früher rund 200.000 Mitgliedern. Daneben gibt es Katholiken des armenischen, lateinischen, byzantinischen und syrischen Ritus, Altorientalen (Assyrer, Armenier, Syrisch-Orthodoxe), orthodoxe Christen sowie Protestanten.
Hunderttausende flohen nach dem Beginn des Irakkrieges 2003 vor wachsender Diskriminierung, Anschlägen und Entführungen nach Syrien, Jordanien, Libanon oder in den Westen – ein Exodus, der sich nach den Verfolgungen durch die Terrorgruppe „Islamischer Staat/IS“ verstärkte. Die verbliebenen Christen leben vorwiegend in der Hauptstadt Bagdad und im kurdisch besiedelten Norden. Im gesamten Nahen Osten wurden in den vergangenen Jahren Millionen Menschen aus ihrem angestammten Land vertrieben, zahllose Kirchen und alte Kultstätten aller Religionen wurden zerstört. Von den vormals bis zu 1,5 Millionen Christen im Irak sind bis heute rund 1 Million - erst unter Saddam Hussein, dann vor dem IS - geflohen. Der weitaus größte Teil ist über die ganze Welt zerstreut, das jahrtausendealte kulturelle Erbe des christlichen Orients steht vor der Vernichtung. Doch die im Irak verbliebenen syrisch-katholischen Christen, aber auch Assyrer, Chaldäer und andere christliche Minderheiten wollen nicht aufgeben: Sie wollen ihre christliche Kultur, Liturgie und Sprache leben.
„Iraks christliches Erbe. Vom Überleben im Zweistromland“: Ohne die Geschichte der Christen im Irak ist die Identität und die Geschichte des ganzen Landes nicht zu verstehen. In seinem Buch „Iraks christliches Erbe. Vom Überleben im Zweistromland“ erzählt Matthias Kopp die zweitausendjährige Geschichte der christlichen Kirchen im Irak. Er bettet diese Geschichte der Kirchen in die Geschichte des Landes ein und wirft einen Blick in die Zukunft. Erstmals wird mit diesem Buch eine alle Epochen umfassende Monographie aus Sicht des Christentums über den Irak bis zur Gegenwart vorgelegt. Die religionswissenschaftliche Untersuchung rückt dabei auch die islamischen Strömungen sowie weitere religiöse Minderheiten und Ethnien, insbesondere die Jesiden, in den Fokus.
Der Schwerpunkt liegt auf dem 20. und 21. Jahrhundert. Mit Blick auf den politischen Kontext wird der Sturz Saddam Husseins analysiert, die Verfassungsentwürfe untersucht und den Wurzeln der Entstehung des Terrorregimes des „Islamischen Staates“ nachgegangen. Diese Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Faktoren wird um das Wirken der christlichen Kirchen im Irak ergänzt. Dabei nimmt die Diplomatie des Heiligen Stuhls im Zweistromland breiten Raum ein. Die wissenschaftliche Untersuchung mit einem umfassenden Literaturverzeichnis und unbekannten Archivmaterialien verbindet die Sicht von Religion und Politik im Irak. Sie ist eine Hommage an die Christen, die – trotz des anhaltenden Exodus – im Land verblieben sind, und eine Erinnerung an die ungezählten vom Terror ermordeten Opfer von Christen und Jesiden. Die kenntnisreiche Analyse der Reise von Papst Franziskus in den Irak 2021 macht deutlich, dass die Christen eine Zukunft im Land einfordern, am Aufbau der Zivilgesellschaft mitwirken wollen und für eine friedliche Koexistenz werben, wie sie über Jahrhunderte praktiziert wurde. Ihr Handeln ist ein Zeugnis dafür, dass sie wesentlicher Motor einer Versöhnungsgeschichte sind, die in die Gesellschaft hineinwirkt.
Die Realität ist trotzdem bitter: Das Christentum im Irak steht vor seinem Ende. Wenn es nicht zu einer politischen Wende im Land kommt und stattdessen radikalisierende Weltbilder weiter zunehmen, droht das Christentum zu erlöschen. So müssen die irakischen Christen für ihr kulturelles Erbe auch künftig um das Überleben kämpfen. Ihren blutigen und steinigen Weg bis heute zeichnet der Autor nach. „Iraks christliches Erbe“ ist das historische und religionswissenschaftliche Kaleidoskop eines reichen Vermächtnisses in der Wiege der Menschheit. (Verlagsankündigung)
Unser Gesprächspartner: Dr. Matthias Kopp wurde 1968 geboren und ist Theologe, Archäologe und Journalist. Nach Tätigkeiten bei Radio Vatikan, als Sprecher des Weltjugendtags 2005 und als Sprecher der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen ist er seit 2009 Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz. Die Entwicklungen im Nahen Osten begleitet er seit mehr als drei Jahrzehnten intensiv.