400 Jahre Telgter Hungertuch

von Christof Beckmann

Montag, 27.03.2023

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Das Telgter Hungertuch von 1623, Foto: Stephan Kube, Greven

Heute ist Welttheatertag. Und bevor es irgendeinen Theatervorhang hab, gab es sie: Fastentücher, seit 1000 Jahren bekannt und – wenn erhalten, uralt. Wie in Telgte: Im Relígio-Museum wird die Ausstellung „400 Jahre Telgter Hungertuch“ gezeigt...

INFO: Das Telgter Hungertuch von 1623 ist eines der bedeutendsten religiösen Kulturgüter Westfalens und das größte und bedeutendste Ausstellungsstück im RELíGIO – Westfälisches Museum für religiöse Kultur in Telgte. Das am besten erhaltene Fastentuch der Region wurde bis 1905 während der Fastenzeit im ersten Chorbogen der neben dem heutigen Museum gelegenen Pfarrkirche St. Clemens aufgehängt und gehört zu der Gruppe von westfälischen Fastentüchern mit figürlichen Darstellungen. Dazu gehören auch die Tücher in Everswinkel, Alverskirchen, Vreden und Freckenhorst, die heute noch benutzt werden oder in den Kirchen ausgestellt sind. Stifter des Tuchs in Telgte waren Burgmann Henrich Vos und seine Ehefrau Catarina Droste, ausgeführt wurde die Filetstopfarbeit aus doppelt gezwirntem Leinengarn auf geknüpften Netzen von adligen Damen der Ritterfamilien Vos, Droste, Bischopinck und von Münster. Bei einer Gesamtgröße von 7.40 x 4.40 Metern (33 m2) enthält es 33 quadratische Bildfelder und ebenso viele schlichte Leinenfelder, die schachbrettartig angeordnet sind. Die Zahl 33 verweist möglicherweise auf das Lebensalter Jesu zu Zeitpunkt seines Todes. Jedes der Bildfelder weist fast 25 000 handgeknüpfte Löcher auf, so dass das Tuch etwa 824.000 Knoten zählt. Die ersten vier Reihen schildern den Leidensweg Christi, die fünfte Reihe zeigt die Symbole der Evangelisten und das „Lamm Gottes“ als Sinnbild für Christus, die sechste Reihe zeigt Motive aus dem Alten Testament.

Hungertücher: Schon um das Jahr 1000 sind kirchliche Vorschriften überliefert, nach denen die Hauptaltäre in den Pfarr- und Klosterkirchen für die Dauer der Fastenzeit von Aschermittwoch bis in die Karwoche durch einen einfarbigen Stoff verhüllt werden mussten. So erklärt sich der lateinische Begriff „velum quadragesimale“, „Tuch der 40 Tage“, der Bezug auf den in der biblischen Passionsgeschichte erwähnten Tempelvorhang (velum templi) nimmt. Die Tücher – auch Palmtuch, Passionstuch oder Schmachtlappen genannt - spielten in vielen Regionen Zentral- und Westeuropas somit eine besondere Rolle in der Fastenliturgie der katholischen Kirche, in der zum körperlichen Fasten auch das geistliche Fasten trat: Die Stoffe verdecken bis heute auch Figuren und vor allem figürliche Kreuzesdarstellungen. Ab dem 12. Jahrhundert wurde das rein symbolische Objekt für vielfältige künstlerische Gestaltungen in der christlichen Kunst entdeckt – vor allem in den Tuchmalereien der alpenländischen Kunst und der bildlichen Mosaikstickerei Norddeutschlands mit Westfalen und Niedersachsen. Zentrale Motive sind Szenen aus der Passionsgeschichte Jesu. In der Reformation sind sie aus vielen Regionen verschwunden, werden aber in modernen Fassungen vielfach wieder neu entdeckt. Bei der seit dem 16. Jahrhundert überlieferten Redensart „Am Hungertuch nagen“ ist ursprünglich eigentlich „Am Hungertuch nähen“ gemeint.

400 Jahre Telgter Hungertuch: Die Idee zur Telgter Ausstellung entstand im Umfeld der Oberammergauer Passionsspiele 2023. Für Dr. Anja Schöne, Leiterin des Relígio -Museums in Telgte, erzählen das Hungertuch und die Passionsspiele dieselbe Geschichte. In Kooperation mit der Leiterin des Oberammergauer Museums, Dr. Constanze Werner, entstanden die Grundlagen für die Ausstellung „Verhüllen und Offenbaren“, die noch bis Sonntag, 30. April, im Relígio-Museum zu sehen ist. Den 33 Bildfeldern, die das Telgter Hungertuch zeigt, sind filigrane Schnitzereien aus dem Oberammergau Museum gegenübergestellt, dazu Rauminstallationen, Gewänder und Requisiten aus dem Passionsspiel, die erstmals außerhalb von Oberammergau zu sehen sind. „Die Besucherinnen und Besucher können hier einen individuellen Zugang zur Leidensgeschichte Jesu und seiner Auferstehung finden“, so Schöne. Vom 17. bis zum 19. März wird ein Kolloquium mit international bekannten Fachleuten das Telgter Fastentuch sowie andere historische und neu geschaffene Hungertücher behandeln (Programmflyer). Veranstalter sind der Freundeskreis Relígio e.V. und das Museum Relígio – Westfälisches Museum für religiöse Kultur. Das Museum ist täglich (außer montags) von 11 bis 18 Uhr geöffnet, auch an Karfreitag und Ostermontag. Links: Das Teltger Hungertuch von 1623 auf der Webseite von RELíGIO – Westfälisches Museum für religiöse Kultur.

Museum RELíGIO: Das Museum RELíGIO, 1934 von Paul Engelmeier als Wallfahrts- und Heimatmuseum gegründet, zeigte zunächst zeitgenössische Krippen zur Weihnachtszeit und Ausstellungen zu christlicher Kunst. Seit 1974 ist das Museum eine GmbH in Trägerschaft des Kreis Warendorf, des Bistums Münster, der Stadt Telgte, der Stadt Münster und der Handwerkskammer Münster. Es präsentierte volkskundliche Ausstellungen zu verschiedenen Themen wie zum Schützenwesen, Handwerk oder zur Marienverehrung und wurde 1983 mit einem großen Erweiterungsbau vergrößert. Als wissenschaftlich geführtes Museum veröffentlicht das Haus eine Schriftenreihe zur religiösen Kultur, zeigt eine Dauerausstellung zur Krippenkunst und Sonderausstellungen, etablierte sich ab 2000 als „Museum RELíGIO“ und richtet sich in seinen Ausstellungs- und Vermittlungsangeboten zunehmend an ein säkulares und multireligiöses Publikum.

Öffnungszeiten: Montag geschlossen, Dienstag bis Sonntag: 11-18 Uhr. Für angemeldete Gruppen und Schulklassen sind auch weitere Termine möglich. Auskünfte und Terminbuchungen unter Tel. 02504 / 93120. Sonderöffnungszeiten: Karfreitag bis Ostermontag von 11-18 Uhr, Pfingstmontag 11-18 Uhr. Eintrittspreise: Erwachsene 5 Euro, ermäßigt 4 Euro*, Kinder und Jugendliche bis 21 Jahre: Eintritt frei, Teilnehmer Gruppenwallfahrten: 2,50 Euro, *Ermäßigung für Gruppen ab 12 Personen, Studierende und Mitglieder des Heimatvereins Telgte. Erwachsenengruppen: Führung 60 Minuten 50 Euro, Führung 90 Minuten 70 Euro, (Gruppenstärke bis 20 Personen), Führung für Schülerinnen und Schüler 30 Euro, (bis 20 Personen), Führungen in englischer Sprache und für Sehbehinderte möglich. Öffentliche Führung am zweiten Sonntag des Monats um 15 Uhr. Eintrittskarten gelten ganztägig. Jeden letzten Samstag im Monat freier Eintritt. Das Museum kann zwischendurch verlassen werden. Blinden- und Demenzbegleitung haben kostenlosen Eintritt.

Kontakt: RELíGIO – Westfälisches Museum für religiöse Kultur, Herrenstraße 1-2, 48291 Telgte, Tel. 02504 / 93 120, E-Mail: museum@telgte.de, Internet: https://museum-telgte.de/.

Montag, 27.03.2023